Psyche: Alkoholsucht im Alter

Täglich ein Gläschen Wein hört man oft, wenn Jubilare nach ihrem Rezept für ein hohes Lebensalter gefragt werden. Wenn seelische oder körperliche Probleme den Alkoholgenuss begleiten, kann es schwierig werden, das gesunde Maß zu halten. Hier ist Wachsamkeit gefragt, damit kein Alkoholproblem entsteht.

Alkohol ist salonfähig, kein Zweifel. Denn dieses Genussmittel hat Tradition: In der Nachkriegszeit stieg der Alkoholkonsum in Deutschland von drei auf zwölf Liter pro Kopf, mittlerweile sind es im Durchschnitt zehn Liter pro Kopf. Damit gehört Deutschland zum oberen Drittel des Pro-Kopf-Konsums bei den Industrieländern. Über die Hälfte der Älteren trinkt regelmäßig. Etwa jeder Fünfte über 60 trinkt sogar Alkohol in riskanten Mengen, bestätigt der Epidemiologe Prof. Siegfried Weyerer vom Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. Dabei liegt die Grenze zwischen riskantem und risikoarmem Konsum, bei dem wahrscheinlich keine gesundheitlichen Schäden auftreten, bei Frauen insgesamt noch einmal um die Hälfte niedriger als bei Männern. Das wissenschaftliche Kuratorium der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) hat diese Grenze für gesunde Frauen mittleren Alters auf maximal 12 Gramm Alkohol täglich festgelegt. Das entspricht etwa 0,3 Liter Bier oder 0,15 Liter Wein. Für Männer gelten demnach die doppelten Werte und Mengen. Damit es zu keiner Gewöhnung an Alkohol kommt, wird zudem empfohlen mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche einzulegen.

Je höher das Alter …

Ältere Menschen vertragen weniger Alkohol. Dr. Dieter Geyer, leitender Arzt der Fachklinik Fredeburg für Suchterkrankungen, erläutert: Dies liegt daran, dass der Wasseranteil im Körper zurückgeht und sich der Stoffwechsel altersbedingt verändert. Denn auch die Leber altert und damit wird Alkohol immer langsamer im Körper abgebaut. Deshalb sollte mit zunehmendem Alter der Alkoholkonsum eingeschränkt werden. Werden Trinkgewohnheiten aus jüngeren Tagen auch im Alter beibehalten, kann risikoarmer Konsum schleichend in riskanten oder gar schädlichen Konsum übergehen, mit vermeidbaren Folgen: Vom Trinken werden ganz sicher weder die Diabeteswerte noch der Bluthochdruck besser. Auch Wechselwirkungen mit Medikamenten oder Stürze können Folgen regelmäßigen Alkoholkonsums sein. Und schließlich steige damit die Gefahr einer Sucht und auch das Risiko von Krebserkrankungen oder Hirnblutungen, warnt der Neurologe und Psychiater.

Warnzeichen erkennen

Ältere trinken in der Regel weniger auffällig als Jüngere, erklärt Christa Merfert-Diete von der DHS. Oft trinken sie unbemerkt ausScham und über den Tag verteilt, und erreichen so einen konstanten Alkoholspiegel. Typische Warnzeichen für ein Alkoholproblem: Stürze, zunehmende Vergesslichkeit oder Verwahrlosung. Aktuelle Konflikte und die konkrete Lebenssituation sind häufige Auslöser.

Unabhängigkeit und Lebensqualität erhalten

Gerade bei alten Damen merken wir häufig nicht, wenn sie ihre hochprozentigen Kräuterliköre in Mengen trinken, berichtet Dr. Ralf Bodenschatz, Neurologe und Geriater aus Mittweida. Das Problem mit dem Alkohol trete oft erst bei einem Aufenthalt im Krankenhaus zu Tage, weil plötzlich Entzugserscheinungen auftreten. Häufig sind es aber auch Freunde oder Angehörige, die Betroffene konfrontieren: Du riechst immer so. Wenn du nicht aufhörst zu trinken, kann ich dir dein Enkelkind nicht mehr anvertrauen. Das sei eine typische Reaktion von Angehörigen, berichtet Dr. Geyer. Erst entsetzt und beschämt, sind dann viele Betroffene umso eher bereit, den Alkohol dranzugeben. Diese Bereitschaft, sich zu ändern – manchmal auch durch ein Arztgespräch ausgelöst –, ist eine gute Voraussetzung für den Erfolg einer Behandlung: Je nach Gesundheitszustand sollte sich eine ambulante oder stationäre Entgiftung anschließen. Außerdem öffnen sich immer mehr Suchtberatungsstellen und suchen die Betroffenen auch zu Hause auf, erklärt der Suchtexperte.

Befreiung aus der Abhängigkeit

Aus der Erfahrung stationärer Behandlungen in der Suchtklinik Fredeburg betont Dr. Geyer, dass es sich in der Therapie bewährt hat, Menschen im gleichen Lebensalter zusammenzubringen. Ältere haben andere Lebenserfahrungen gemacht als Jüngere. Sie haben oft ähnliche Interessen entwickelt, was auch wichtig ist, um nach der Suchttherapie eine neue Tagesstruktur ohne Alkohol aufzubauen und mögliche Auslöser wie Einsamkeit zu bekämpfen. Insgesamt haben Menschen, die in ihrem späten Leben ein Alkoholproblem entwickeln, eine gute Chance, sich nach einer Therapie wieder in den Griff zu kriegen: Ältere wissen in der Regel, was auf dem Spiel steht, und nehmen die Therapie sehr ernst. Sie sind auch dankbarer und zufriedener, wenn sie eine solche Chance erhalten. Von den über 60-Jährigen waren ein Jahr nach der Therapie noch 60 Prozent abstinent. Das ist wirklich kein Grund zum Pessimismus, betont der Suchtexperte aus dem Sauerland.

Harald Raabe