Psyche: Alles unter Kontrolle

Warum fällt es den meisten Menschen so schwer, schlechte Gewohnheiten aufzugeben? Die US-Psychologin Kathleen Vohs geht dieser Frage seit vielen Jahren nach. Im Interview mit Anke Brodmerkel erklärt sie, warum die Fähigkeit, sich selbst zu disziplinieren, begrenzt ist – aber auch, wie sie sich steigern lässt.

Frau Professor Vohs, Menschen, bei denen eine chronische Erkrankung festgestellt wird, müssen ihren Lebensstil oft radikal ändern. Fast immer ist dazu ein hohes Maß an Selbstkontrolle nötig. Wie lässt sich diese Fähigkeit Ihrer Ansicht nach am besten erwerben?

Wichtig ist vor allem, dass man dabei in kleinen Schritten vorgeht Unsere Experimente haben in der Vergangenheit vor allem eines immer wieder gezeigt: Selbstkontrolle ist eine begrenzte Ressource, die es folglich klug und mitunter auch sparsam einzusetzen gilt. Wer versucht, sich von heute auf morgen in allen Lebensbereichen gleichzeitig zu disziplinieren, ist fast schon zum Scheitern verurteilt.

Wissen Sie, woran das liegt?

Unser Gehirn funktioniert offenbar nicht viel anders als ein Muskel: Wird es durch eine bestimmte Aufgabe zu sehr beansprucht, kann es diese anschließend eine Zeit lang nicht mehr optimal erfüllen. Das konnten wir sogar sichtbar machen – indem wir Hirnareale, die an der Selbstkontrolle beteiligt sind, bei freiwilligen Versuchspersonen mit bildgebenden Verfahren durchleuchtet haben.

Trotzdem scheint es Menschen zu geben, denen die Fähigkeit zur Selbstkontrolle quasi in die Wiege gelegt wurde. Spielen die Gene demnach auch eine Rolle?

Inwieweit das Talent, sich selbst zu kontrollieren, angeboren ist, wissen wir noch gar nicht so genau. Wir haben aber etwas anderes, ganz entscheidendes herausgefunden: Meist sind diszipliniert wirkende Menschen gar nicht so gut darin, Versuchungen zu widerstehen, wie es zunächst den Anschein hat. Sie schaffen es nur viel besser als andere, Situationen zu vermeiden, die ungewollte Sehnsüchte heraufbeschwören.

Wer also zum Beispiel dem Alkohol entsagen muss, sollte der nächsten Einladung zu einer Geburtstagsfeier gar nicht erst folgen?

Vielleicht wäre es zumindest in der Anfangsphase der Abstinenz klüger, die Einladung abzusagen und sich stattdessen lieber zu einem gemeinsamen Spaziergang zu verabreden.

Nur in der Anfangsphase?

Ja, denn wir wissen inzwischen auch, dass sich das Gehirn trainieren lässt. Es ist fast wie im Sport: Nach einem Besuch im Fitnessstudio fühlt man sich erst einmal erschöpft. Wer dort regelmäßig trainiert, wird aber merken, dass seine Muskeln immer stärker werden. Ähnlich verhält es sich mit unserem Gehirn: Wer immer wieder in kleinen Schritten Selbstkontrolle übt, wird feststellen, dass sie ihm zunehmend leichter fällt. Der erfolgreiche Verzicht auf Alkohol kann dann sogar dabei helfen, als Nächstes beispielsweise die Ernährung umzustellen.

Und wenn einen die Versuchung doch übermannt?

Es gibt auch kurzfristige Strategien, das Gehirn zu überlisten. Wer nicht gerade Diät halten muss, sollte etwas Süßes essen: Zucker hilft dem Gehirn, seine Fähigkeit zur Selbstkontrolle zu steigern.

Und wenn einem der Arzt ausgerechnet Zucker untersagt hat?

Dann sollte man in einer solchen Situation kurz innehalten und sich auf seine Werte besinnen. Sich klarzumachen, was einem im Leben wirklich wichtig ist, kann – auch das haben unsere Experimente gezeigt – von unüberlegten Aktionen abhalten. ab

Kathleen Vohs (41) ist Professorin für Marketing an der University of Minnesota.

Im Zentrum ihrer Forschung steht die Fähigkeit zur Selbstkontrolle. Vergangenes Jahr erhielt die weltweit anerkannte US-Psychologin den Anneliese Maier-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung. Im Rahmen dieser Auszeichnung erforscht sie nun gemeinsam mit Psychologen der Universität Heidelberg fünf Jahre lang, wie sich Selbstdisziplin weiter steigern lässt.