Multiple Sklerose: Second-line-Medikation – Wenn die Basistherapie nicht reicht

Immer wieder kommt es vor, dass Multiple Sklerose-Patienten mit hochaktiver schubförmig verlaufender Erkrankung auf eine Basistherapie nicht ansprechen oder diese nicht vertragen. Dann können sogenannte Second-Line-Medikamente zum Einsatz kommen. Nicht selten sorgen hier befürchtete Nebenwirkungen für Verunsicherung bei den Patienten. Umso wichtiger sind eine gute Aufklärung und umfassende Versorgung der Betroffenen.

Da es sich bei MS um eine nicht heilbare Krankheit handelt, muss das Hauptziel einer Behandlung die Stabilisierung der Erkrankung sein. Doch was tun, wenn dies aufgrund einer hohen Krankheitsaktivität und fehlender Wirksamkeit oder Verträglichkeit der Basistherapie nicht möglich ist?

Therapiewechsel notwendig

Für einige Patienten ist es dann notwendig, in Absprache mit ihrem behandelnden Neurologen auf eine Second-Line-Therapie (auch Zweitlinien- oder Eskalationstherapie) umzusteigen. Ziel dieser Behandlung ist es – wie bei der Basistherapie auch – die MS-Erkrankung so zu beeinflussen, dass der Patient vor deren gesundheitlichen Folgen geschützt und zudem in seinem Alltag so wenig wie möglich beeinträchtigt ist. Denn gerade die Chance, einem aktiven selbstbestimmten Leben nachgehen zu können, trägt für viele MS-Patienten zur Erhaltung der Lebensqualität bei. Die Angst, durch die Krankheit in Beruf und Freizeit eingeschränkt zu sein, ist eine der Hauptsorgen von Betroffenen, so Christel M., Leiterin einer MS-Selbsthilfegruppe. Für viele Patienten sei deshalb eine Therapie wichtig, die den Wunsch nach einem Leben ohne zu große krankheitsbedingte Beeinträchtigungen erfüllt. Dass dies trotz bzw. dank stark wirksamer Medikamente möglich ist, weiß Christel M. aus eigener Erfahrung. Nach der jahrelangen Anwendung einer Interferon-Basistherapie stieg die heute 49-Jährige vor einigen Jahren auf eine Zweitlinientherapie um. Darin sieht sie neben der besseren Wirksamkeit und damit verbundenen Schubfreiheit im Gegensatz zur Erstlinienbehandlung auch den Vorteil, sich nicht mehr selbst spritzen zu müssen. Für viele Patienten mag das kein Problem und gut in den Alltag zu integrieren sein, ich persönlich bevorzuge aber die monatliche Infusion. Durch die Therapie bin ich unabhängiger und kann meinem Alltag inklusive Beruf aktiv und ohne größere Einschränkungen leben und auch genießen.

Angst vor Nebenwirkungen

Doch eine Sorge spielt auch bei dem Wechsel zu einer Second-Line-Therapie eine wichtige Rolle: die Angst vor Nebenwirkungen. Viele Patienten befürchten, dass mit einem starken Medikament auch unerwünschte Wirkungen verbunden sind. Entsprechend groß kann die Verunsicherung bei Betroffenen sein, denen der Neurologe eine solche Therapie vorschlägt. Tatsächlich kann es bei verschiedenen Medikamenten zu Nebenwirkungen kommen – von leichteren Symptomen, wie Kopf-, Rücken-, Glieder- oder Gelenkschmerzen, Müdigkeit oder Hautauschläge, Übelkeit und Erbrechen über Depressionen, Magen-Darm- oder Nasennebenhöhlenentzündung bis hin zu teils lebensbedrohlichen Folgen wie Leber- oder Herzschäden oder gefährliche Viruserkrankungen. Auch wenn sich das alles sehr beunruhigend liest und alle diese Nebenwirkungen ernstzunehmen und Fragen und Sorgen berechtigt sind, sollte man einige wichtige Aspekte beachten, bevor die Therapie aus Angst gar nicht erst begonnen oder abgesetzt wird.

Nicht verunsichern lassen!

In erster Linie sollten generell alle Fragen und Bedenken bezüglich möglicher Nebenwirkungen mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Er kann am besten einschätzen, welche Symptome eher harmlos sind und nach einiger Zeit erfahrungsgemäß wieder verschwinden und welche auf eine ernsthafte Begleiterkrankung hinweisen können und genauer untersucht werden sollten. Sehr viele Patienten brechen eine Therapie wegen Nebenwirkungen ab, insbesondere in der ersten Zeit, erklärt NTC-Neurologe Dr. Michael Lang aus Ulm. Dabei sollten die Betroffenen wissen, dass die meisten Symptome nach etwa sechs Monaten nachlassen, wenn sich Körper und Seele auf die neue Therapie eingestellt haben. Dazu komme, dass viele Nebenwirkungen durch ein gutes Management der Therapie gemindert und Begleiterkrankungen, wie Depressionen, effektiv behandelt werden können, so Lang. Entsprechend wichtig sei eine gute und intensive Aufklärung des Patienten über Vor- und Nachteile einer Behandlung.

Nutzen und Risiken abschätzen

Zudem sollten wie bei jeder dauerhaften Therapie regelmäßige Kontrollen, wie etwa Blut- oder Organuntersuchungen, stattfinden, um mögliche Veränderungen, die erst nach längerer Medikamenteneinnahme auftreten können, zeitnah festzustellen und gegebenenfalls zu behandeln oder auf eine andere Therapie zu wechseln. Nicht zuletzt kennt der Neurologe das persönliche Risikoprofil seines Patienten, beispielsweise für Herz- oder Viruserkrankungen aufgrund bestimmter genetischer Veranlagungen.

Und einen wichtigen Punkt sollten MS-Patienten, die Angst vor eventuellen Nebenwirkungen einer Therapie haben, ebenfalls nicht vergessen: Die gesundheitlichen Risiken mit allen erdenklichen körperlichen Beeinträchtigungen, die eine unbehandelte MS-Erkrankung mit sich bringen kann, können deutlich gravierender sein als mögliche Begleiterscheinungen einer Therapie.

Christel M. kann aus eigener Erfahrung sagen, dass die Eskalationstherapie nicht mehr Nebenwirkungen haben muss als die Basistherapie: Bei drei Spritzen pro Woche war ich vier Tage krank. Jetzt bin ich nach der Infusion zwar ein bisschen müde, aber das gibt sich relativ schnell wieder.

Individuelle Therapie

Egal ob Erst- oder Zweitlinienbehandlung – eines haben beide Therapieformen gemein: Sie sollten individuell auf die Bedürfnisse und Wünsche des Patienten angepasst sein, das heißt, die MS-Erkrankung unter Kontrolle halten und gesundheitliche Beeinträchtigungen so gut es geht vermeiden, sich aber vor allem in der Art der Therapie – sei es Dosierung, Verabreichungsform, Risiken und Nebenwirkungen – am Gesundheitszustand sowie am Alltag des Betroffenen orientieren. Die Therapie muss zu einem passen und man muss sich als Patient über die Therapieoptionen im Klaren sein, damit man trotz der Krankheit einen möglichst selbstbestimmten Alltag führen kann, rät Christel M. Und auch Dr. Lang ist sich sicher: Eine Therapie, die dem Patienten von Seiten des Arztes aufgezwungen wird, aber nicht zur Lebenssituation des Erkrankten passt, wird eher abgebrochen. Dadurch kann sich der Gesundheitszustand des Betroffenen allerdings ernsthaft verschlimmern. Auch diesbezügliche plädiert Lang deshalb für eine optimale Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient, um die Therapietreue zu verbessern.