Multiple Sklerose: Keine Angst vor Schwangerschaft

Multiple Sklerose lässt sich auch mit Kinderwunsch und Schwangerschaft vereinbaren. Worauf künftige Mütter und Väter achten sollten, weiß PD Dr. med. Kerstin Hellwig vom Multiple Sklerose und Kinderwunsch-Register in Bochum.

Frau Dr. Hellwig, hat eine MS-Erkrankung Einfluss auf die Fruchtbarkeit?

Auch wenn systematische Untersuchungen fehlen, wirkt sich MS wahrscheinlich weder bei Frauen noch bei Männern auf die Fruchtbarkeit aus. Das Gleiche gilt für die gängigen Medikamente. Lediglich der Wirkstoff Mitoxantron ist genotoxisch, das heißt, er kann das Erbmaterial verändern. Daher sollten auch Männer, die entsprechende Präparate nehmen, bei Kinderwusch frühzeitig zu einer alternativen Therapie wechseln.

Dürfen Frauen eine Therapie während der Schwangerschaft fortsetzen?

Es gibt zwar Medikamente, die in einzelnen Fällen auch in der Schwangerschaft eingenommen werden dürfen, etwa Interferone, Glatirameracetat oder auch Natalizumab. Das ist aber immer eine individuelle Entscheidung, die unbedingt mit dem Neurologen besprochen werden muss – inklusive einer sorgfältigen Risiko-Nutzen-Abwägung. Immunglobuline gelten in Schwangerschaft und Stillzeit als unbedenklich, allerdings sind sie wegen eines fehlenden eindeutigen Wirksamkeitsnachweises nicht für die MS-Behandlung zugelassen. Die Kostenübernahme wird daher häufig abgelehnt.

Wie wirkt sich eine Schwangerschaft auf das Schubrisiko aus?

Hier kann man Frauen Ängste nehmen: Auch ohne Medikamente kommt es während der Schwangerschaft meistens zu einer deutlichen Reduktion der Schubrate. Dies liegt vermutlich an einer Anpassung des Immunsystems der Mutter. Es verhindert, dass das Kind abgestoßen wird und bremst wohl auch die MS. Da dafür in erster Linie die weiblichen Hormone wie Östriol, vielleicht auch Progesteron oder Prolaktin, verantwortlich gemacht werden, gibt es Überlegungen, diese auch bei nicht-schwangeren MS-Patientinnen als Therapieoption einzusetzen. Dazu sind aber weitere Studien nötig.

Was gilt für die Stillzeit?

Nach der Geburt steigt die Schub-rate an, sodass 35 Prozent der Frauen in den ersten drei Monaten einen Schub erleiden, etwa 50 Prozent im ersten Jahr. Wenn gestillt werden möchte, ist das für die meisten Frauen möglich. Grundsätzlich würde man eher ohne Medikamente stillen. Zwar ist es in Ausnahmen unter einer MS-Medikation möglich, aber auch das muss eng mit dem Neurologen abgesprochen werden. Ausgeschlossen ist Stillen unter den oralen MS-Therapien. Wird nicht gestillt, sollte möglichst frühzeitig nach der Geburt wieder mit der entsprechenden Immuntherapie begonnen werden.

Ist trotz einer MS-Therapie auch eine reproduktionsmedizinische Behandlung möglich?

Ja, das ist möglich. Dazu sollten die Paare aber wissen, dass es ein erhöhtes Schubrisiko gibt, wenn die Behandlung erfolglos bleibt, die Frau also nicht schwanger wird. Deswegen empfehle ich oftmals, die MS-Medikationen trotz reproduktionsmedizinischer Behandlung beizubehalten und erst abzusetzen, wenn ein früher Bluttest im Rahmen der Behandlung eine Schwangerschaft nachweist. Auch dazu sollte im Einzelfall, abhängig von der jeweiligen Medikation, immer der Neurologe befragt werden.

PD Dr. med. Kerstin Hellwig
Fachärztin für Neurologie Universitätsklinikum St. Josef Hospital Bochum