Erfolgsteam auf Achse

Samstagabend in Jena: Zeit für die 1. Bundesliga. Rollstuhl-Basketball. – In der Sporthalle im Stadtteil Lobeda-West läuft Musik beim Warmspielen, am Spielfeldrand wird schnell noch ein Reifen aufgezogen. Dann der Ruf des Trainers: Mannschaftsbesprechung! Und plötzlich springen einige der Spieler auf und traben in Richtung Kabine. Zuschauer, die zum ersten Mal bei einem Heimspiel der Jena Caputs dabei sind, wundern sich, kommen ins Grübeln. Doch, das ist beim Rollstuhlbasketball ganz normal.

Integrativste Sportart der Welt

Beim Rollstuhlbasketball spielen behinderte und nichtbehinderte Menschen, sogenannte Fußgänger, zusammen. Außerdem gibt es gemischte Teams: Frauen spielen gemeinsam mit Männern. Sie messen sich im Wettkampf und arbeiten zusammen als Team für den Erfolg. Franziska Vogel ist bei den Caputs beides. Die Physiotherapeutin ist seit der Saison 2009/2010 in der ersten Mannschaft des Vereins aktiv. Nach einem Kreuzbandriss dribbelt die 22-Jährige im Sitzen weiter.

Den Ausgleich finden

Beim Training der Zweiten und den Spielen in der Oberliga kommt es den Verantwortlichen der Jena Caputs darauf an, den Nachwuchs zu fördern und auf die Erste Mannschaft vorzubereiten. Marcus Kietzer hat über diesen Weg den Sprung in die Bundesliga geschafft. Der 24-Jährige hatte den ersten Kontakt zum Rollstuhlbasketball während seines Reha-Aufenthalts in Tübingen. Bei einer Skitour verschätzte er sich im Tempo, konnte einem Pfahl nicht mehr ausweichen. Die Folgen waren schwerwiegend, so dass sich sein ganzes Leben veränderte. Eigentlich wollte er als Fußballtorwart durchstarten und Erfolge feiern, doch plötzlich war es aus damit. Durch den Rollstuhlsport fand Marcus schnell wieder den notwendigen Ausgleich. Ich habe Lars Christink, den Gründer der Jena Caputs, bei einem Heimspiel von Science City Jena (Basketball Pro-A Team) angesprochen und er hat mich zum Training eingeladen, erinnert sich Kietzer.

Seitdem arbeitet der Sportstudent, wie alle Rollstuhlbasketballer, bei jedem Training an seinen eigenen Fähigkeiten. Es kommt vor allem auf die Athletik, Schnelligkeit und Wendigkeit an. Schließlich kommt die ganze Kraft aus den Armen. Die Arme sind beim Rollstuhlbasketball der Motor des Spiels. Alles wird darüber koordiniert. Wir trainieren die Bewegung und das Ballhandling fast in jedem Training. Aber auch der Umgang mit dem Rollstuhl muss gelernt sein. Das ist einfach notwendig, um über 40 Spielminuten fit zu sein, so Marcus Kietzer weiter.

Multiple Sklerose ist kein Hindernis

Bei den Jena Caputs kann Trainer Lars Christink auf insgesamt elf Spieler zurückgreifen. Neben Spielern mit den klassischen Behinderungen, die durch Unfälle ausgelöst wurden, und den Fußgängern gibt es auch Spieler in den Teams, die mit neuro­lo­gischen Schäden, zum Beispiel ausgelöst durch Multiple Sklerose, mitspielen. Je nach Grad der Behinderung gibt es beim Rollstuhlbasketball acht Kategorien, die unterschiedlich bewertet werden. Ein Fußgänger wird mit 4,5 Punkten bewertet, die höchste Behinderungsstufe mit 1,0. In gemischten Mannschaften, wie bei den Jena Caputs, erhalten Frauen einen Bonus von 1,5 Punkten. Auf dem Feld dürfen bei einem Bundesligaspiel maximal 14,5 Punkte aktiv sein.

Eine besondere Herausforderung

Neben dieser Klassifizierung und der Tatsache, dass Basketball aus dem Rollstuhl gespielt wird, unterscheidet sich Rollstuhlbasketball kaum vom normalen Basketball. Das Spielfeld ist gleich groß, der Korb hängt genauso hoch und auch die Spieldauer ist gleich lang. Der einzig große Unterschied ist, dass neben dem Basketball als Sportgerät auch noch der Rollstuhl dazugehört. Die Fußgänger unter den Rollstuhlbasketballern ziehen gern den Vergleich der Sportgeräte heran, um Vorurteile bei Fragen wie Warum setzt du dich als Fußgänger in den Rollstuhl? oder Warum spielst du nicht normal Basketball? auszuräumen.

Für viele ist der Rollstuhl dann einfach ein Sportgerät. Die Kosten für so einen speziell angepassten Sportroll­stuhl sind enorm hoch. Da kommen schnell 4.000 € zusammen, so die Managerin Anja Schwiekal, die gleichzeitig Lars Christink an der Seitenlinie unterstützt. Geld wird immer gebraucht, um Rollstuhlbasketball auf so hohem Niveau zu spielen, wie es in der 1. Rollstuhlbasketball-Bundesliga getan wird. Die Liga zählt in Europa zu einer der stärksten. Vor allem in den letzten Jahren rückte das Feld der Play-off-Kandidaten enger zusammen. Die Jena Caputs hingegen müssen sich, auch wegen eines kleinen Etats, derzeit mit dem Kampf um den Klassenerhalt beschäftigen. Mit einem Sieg am erwähnten Samstagabend ist man dem Ziel aber einen großen Schritt näher gekommen.

Der Sprung in die 1. Bundesliga

Ein Blick auf die Entwicklung der Jena Caputs ist beeindruckend. Der Verein wurde 2007 von Lars Christink, ehemaliger Nationalspieler der deutschen Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft, in Jena gegründet. Von Beginn an konnte der heute 39-Jährige viele von seinem ehrgeizigen Projekt Rollstuhlbasketball in Jena überzeugen und bekam tatkräftige Unterstützung. Mit der Saison 2008/2009 startete das Team mit dem regulären Spielbetrieb in der Regionalliga Ost und schaffte auf Anhieb den Sprung in die 2. Rollstuhlbasketball-Bundesliga, ehe ein Jahr später sogar der Sprung in die höchste Spielklasse folgte. Im Dezember 2008 wurden die Jena Caputs zur Mannschaft des Jahres in Jena gewählt. Die gute und kontinuierliche Arbeit der Verantwortlichen um Anja Schwiekal und Lars Christink hat schnell Früchte getragen und wird nun mit dem Spielbetrieb in der 1. Liga belohnt. Derzeit besuchen im Schnitt 350 Zuschauer die Heimspiele der Jena Caputs, bei denen es auf dem Feld auch mal kracht und scheppert, wenn zwei Spieler gegeneinanderfahren. Ernstlich verletzt hat sich dabei noch niemand.

Thomas Henkel