Multiple Sklerose: Warum bin ich nur so müde?

Erschöpft, müde, abgeschlagen? Bis zu 95 Prozent aller Multiple-Sklerose-Patienten leiden unter körperlicher und/oder geistiger Erschöpfung, dem sogenannten Fatigue-Syndrom. Durch die Müdigkeit sind die Betroffenen bereits in gewöhnlichen Alltagsaktivitäten enorm einschränkt. Doch woher kommt Fatigue und was kann man dagegen tun?

Viele von dem Syndrom betroffene MS-Patienten bezeichnen Fatigue als das Symptom, das sie am meisten belastet. Charakteristisch ist eine abnorme Erschöpfbarkeit, die im Vergleich zu gesunden Personen äußerst lange anhält und eine deutlich längere Erholungsphase umfasst. Zudem ist das Auftreten tageszeitabhängig: Die Symptome nehmen gegen Nachmittag zu und hängen stark mit geistiger oder körperlicher Aktivität zusammen. Entsprechend unterscheidet man zwischen körperlicher und kognitiver Fatigue, je nachdem bei welcher Tätigkeit sie vorherrschend auftritt. Weitere Auslöser können vor allem Stress sowie – aus bislang ungeklärtem Grund – Hitze und eine erhöhte Körpertemperatur sein.

Persönlichkeit kann eine Rolle spielen

Die Verarbeitung einer Krankheit hängt wesentlich von der Persönlichkeit eines Patienten ab. So wird Langzeitbeobachtungen zufolge insbesondere die Fatigue-Ausprägung zu Beginn der MS-Erkrankung durch die Persönlichkeitsstruktur mitbestimmt.

Patienten mit folgenden Persönlichkeitsmerkmalen hatten demnach ein erhöhtes Risiko für Fatigue: geringere allgemeine Lebenszufriedenheit, Neigung zu Gehemmtheit, erhöhte Emotionalität und weiterhin vermehrte Beanspruchung im Alltag sowie vermehrte körperliche oder seelische Beschwerden.

Experten sprechen auch von einer sogenannten maladaptiven (schlecht angepassten) Persönlichkeitsstruktur: Reichen die Grundstabilität der Persönlichkeit und die bis dato angeeigneten Bewältigungsmechanismen nicht aus, um mit negativen Gedanken, z. B. einer Diagnose, fertigzuwerden, kommt es wahrscheinlich zur Fatigue.

Ärztliches Vorgehen

Auch wenn es sich bei der Fatigue um ein subjektives Empfinden handelt, gibt es objektive Möglichkeiten, das Syndrom zu erfassen, etwa das Schreiben von einem Fatigue-Tagebuch. Mit dessen Hilfe können Arzt und Patient auslösende Faktoren, wie Stress, Sport oder Hitze, identifizieren. Inzwischen gibt es zudem standardisierte Fatigue-Fragebögen, die beim Patienten die subjektiven Empfindungen bezüglich der Erschöpfbarkeit abfragen.

Neben der so möglichen Diagnose der Fatigue wäre es wünschenswert, wenn alle Patienten bereits bei der Diagnosestellung der MS-Erkrankung auch eine Gesprächstherapie mit Bewältigungsstrategien bei Depressionen oder Stress angeboten bekämen. Dies könnte ein präventiver Therapieansatz sein, um die Ausprägung von Fatigue zumindest zu minimieren.

Thomas Henkel