Schmerz: Schmerz!

Wenn Patienten über heftige Schmerzen im Bereich des Gesichts klagen, können sich dahinter verschiedene Erkrankungen verbergen – die häufigste ist die Trigeminusneuralgie.

So charakteristisch die meisten Beschwerden für den Neurologen sind, so schwer fällt es den Patienten anfangs, sie einzuordnen: Gesichtsschmerzen werden – je nachdem, wo sie im Gesicht auftreten – oft mit Zahn- oder migräneartigen Beschwerden verwechselt. In einigen Fällen steckt jedoch eine Trigeminusneuralgie dahinter. Eine Behandlung tut Not, denn die damit verbundenen Schmerzen sind für die Patienten kaum auszuhalten: Sie schießen wie ein Blitz aus heiterem Himmel in das Gesicht ein, fühlen sich an wie ein Stromschlag, ein glühender Draht. Zwar halten die quälenden Schmerzen nur zwischen wenigen Sekunden bis zu zwei oder maximal drei Minuten an. Doch auf der Schmerzskala von 0 bis 10 erreichen sie fast immer den höchsten Wert und gehören damit zu den heftigsten Schmerzerfahrungen überhaupt. Klassische Schmerzmittel helfen nicht – bevor sie wirken könnten, hat der Schmerz längst nachgelassen.

Schmerzauslöser: Oft genügt ein Luftzug

Bei einer Trigeminusneuralgie liegt eine Funktionsstörung des Trigeminusnervs vor: Der Nerv ist irritiert und reagiert empfindlich auf alle Reize. Der Trigeminusnerv – zu Deutsch: Drillingsnerv – ist der fünfte Hirnnerv, er teilt sich in drei Hauptäste: Augenast, Oberkieferast und Unterkieferast. In etwa 90 bis 95 Prozent aller Fälle treten die Schmerzen im Mittelgesicht (Wangen), im Untergesicht (Unterkiefer) oder auch in beiden Gesichtspartien gleichzeitig auf. Seltener ist die Stirn betroffen. Der Schmerz ist in aller Regel einseitig. Überwiegend tritt die Erkrankung bei Patienten ab 40 Jahren auf, meist allerdings erst im siebten bis achten Lebensjahrzehnt.

Über die Ursachen der Trigeminusneuralgie wird in der Wissenschaft noch diskutiert: Bei manchen Menschen besteht eine anatomisch bedingte Verbindung zwischen dem Nervenstamm des Trigeminusnervs und einer Arterie am Hirnstammbereich. Durch den mit dem Gefäß-Kontakt verbundenen lokalen Druck wird der Nerv irritiert. Diese Erklärung erscheint derzeit als die wahrscheinlichste für das Auftreten einer klassischen oder auch idiopathischen Trigeminusneuralgie, der im Gegensatz zur symptomatischen Trigeminusneuralgie keine andere fassbare Erkrankung zugrunde liegt. Allerdings liegt diese anatomische Besonderheit nicht bei jedem Patienten mit einer Trigeminusneuralgie vor.

Getriggert, also ausgelöst, werden die Beschwerden durch direkte äußere Reize: durch Kauen, durch Sprechen, oft aber genügt auch ein einziger kalter Luftzug. Während der Schmerzepisoden, die mehrere Tage, Wochen oder auch Monate andauern können, versuchen die Patienten, dem Schmerz so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, stellen das Essen ein, vermeiden Gesellschaft, isolieren sich im schlimmsten Fall – immer in Erwartung der nächsten Attacke.

Bei Vorliegen dieser einschneidenden Symptomatik kann der Neurologe eine Trigeminusneuralgie schnell und sicher diagnostizieren. Eine Kernspin-Computertomographie wird eingesetzt, um den Gefäß-Nerv-Kontakt nachzuweisen – Voraussetzung für die gegebenenfalls notwendige Anwendung einer bestimmten OP. Zunächst jedoch werden die Beschwerden der Trigeminusneuralgie medikamentös behandelt.

Gesichtsschmerzen sorgfältig abklären

Die klassische bzw. idiopathische Trigeminusneuralgie ist zwar die häufigste, aber nicht die einzige Ursache von Gesichtsschmerzen. Weitere mögliche Diagnosen sind:

Symptomatische Trigeminusneuralgie:

Eine symptomatische Trigeminusneuralgie entsteht infolge einer anderen Erkrankung. Charakteristisch ist hierbei oft ein Dauerschmerz, der wellenförmig kommt und geht. Auslöser können eine Multiple Sklerose, ein Hirntumor oder in seltenen Fällen auch eine Durchblutungsstörung (Hirnstamminfarkt) sein. Die Behandlung richtet sich an der Grunderkrankung aus.

Postzosterneuralgie:

Die Schmerzsymptomatik ist die gleiche wie bei der idiopathischen Trigeminusneuralgie: brennende Schmerzen, die sich in heftigen Attacken manifestieren. Eine Postzosterneuralgie tritt bei etwa jedem zehnten, bei über 60-Jährigen allerdings sogar bei jedem zweiten Patienten nach einer Gesichts- bzw. Gürtelrose auf.

Weitere Gesichtsneuralgien:

Sie sind – wie die Trigeminusneuralgie – nach den jeweiligen irritierten Nerven benannt: Bei der Glossopharyngeusneuralgie treten Schmerzen im Bereich von Rachen und Rachenmandel (Tonsille) sowie im Ohr auf, bei der N. laryngeus-superior-Neuralgie im seitlichen Kehlkopfbereich. Die Intermediusneuralgie verursacht Beschwerden im Ohr, die Nasociliarisneuralgie im inneren Augenwinkel mit Ausstrahlung in die Augenhöhle und zum Nasenrücken. Die Schmerzen sind immer einseitig, die Schmerzcharakteristik ist mit der idiopathischen Trigeminusneuralgie vergleichbar.

Atypischer Gesichtsschmerz:

Beim atypischen Gesichtsschmerz treten regelmäßig, d. h. täglich, dumpfe, drückende und in der Tiefe lokalisierte Schmerzen auf, die lang anhalten und sich über das gesamte Gesicht ausbreiten können. Die Schmerzen können ebenfalls die Folge einer Operation im Gesicht sein oder stehen – in zwei Drittel aller Fälle – mit einer psychischen Erkrankung in Zusammenhang. Häufig erkranken Frauen, zumeist im Alter zwischen 30 und 50 Jahren. Für die Behandlung kommen dann schmerzlindernd wirkende Antidepressiva in Betracht.

Migräne oder Cluster-Kopfschmerz:

Bei Gesichtsschmerzen im Bereich der Stirn bzw. der Augen wird der Neurologe abklären, ob es sich auch um eine Migräne oder einen mit der Migräne verwandten Cluster-Kopfschmerz handelt. Bei der Migräne beispielsweise halten die Schmerzen länger an als bei einer Trigeminusneuralgie, nämlich bis zu 72 Stunden. Begleitend besteht eine Übelkeit mit Erbrechen. Die Patienten reagieren empfindlich auf indirekte äußere Reize wie Lärm und Licht, die Schmerzen werden bei Bewegung schlimmer.

Dr. med. Stephan Frisch
Praxis für Neurologie und Psychiatrie im Krankenhaus Leutkirch