Demenz: Zuhause pflegen und gesund bleiben

Pflegende Angehörige stoßen oft an die Grenzen der körperlichen und psychischen Belastbarkeit. Viele finden kaum mehr Zeit, um sich auch um ihre eigene Gesundheit zu kümmern. Vor allem die Pflege von Menschen mit Demenz bringt oft eine emotionale Belastung mit sich, die auf Dauer krank machen kann. Betroffene sollten sich daher nicht scheuen, auch die eigenen Beschwerden anzusprechen, betont der Neurologe Dr. med. Carsten Schumann.

Interview: Karin Banduhn

Pflegende Angehörige – zu 90 Prozent Frauen – sind häufiger krank als der Durchschnitt der Bundesbürger und benötigen mehr ärztliche Behandlung und Medikamente. Das ist das alarmierende Ergebnis der Umfrage einer Betriebskrankenkasse. Das neue Gesetz zur Pflege-Neuausrichtung soll zwar die finanzielle Entlastung pflegender Angehöriger stärken; für ihre persönliche Gesundheit kann die Politik allerdings nicht sorgen. So kommt den Ärzten für die Unterstützung Pflegender eine entscheidende Rolle zu. Dr. med. Carsten Schumann, Neurologe am Neuro Centrum Odenwald, behandelt demenzkranke Patienten und berät Angehörige im Umgang mit der häuslichen Pflegesituation.

Herr Dr. Schumann, was deutet darauf hin, dass die Gesundheit eines Angehörigen gefährdet ist?

Erst seit kurzer Zeit gibt es vermehrt wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit der gesundheitlichen Belastung der pflegenden Angehörigen beschäftigen. Demnach kommt es bei vielen zu einer anhaltenden Stresssituation, der Spiegel von Stresshormonen wie dem Kortison steigt an. Hierdurch werden die Abwehrkräfte des Körpers geschwächt. Mögliche Folgen: vermehrte Anfälligkeit für Infekte, Zunahme von Schmerzen, beispielsweise des Bewegungsapparates und der Wirbelsäule, Schlafstörungen. Ins Gewicht fallen auch affektive Erkrankungen wie eine Depression. Die Anfälligkeit für Erkrankungen, die häufig nicht ausreichend erkannt und therapiert werden, hat den Begriff des unsichtbaren Patienten geprägt.

Sprechen Sie die Angehörigen Ihrer Patienten aktiv auf Probleme an?

Ja, denn Angehörige selbst sprechen selten über ihre Beschwerden. Wenn ich den an Demenz erkrankten Patienten in Begleitung seiner Angehörigen sehe, kann ich viel aus der Mimik, der Gestik, der Bewegung herauslesen. Der behandelnde Arzt, ganz gleich ob Neurologe oder Hausarzt, sollte erkennen, wenn es dem Angehörigen nicht mehr gut geht. In einem weiteren Schritt finde ich es sinnvoll, die Situation zuhause genauer mit den Angehörigen zu erörtern und gemeinsam Lösungen zu finden. Denn Demenz ist eine Erkrankung, welche die ganze Familie betrifft, es reicht also nicht aus, nur den Patienten zu behandeln. Mir ist klar, dass das im Praxisalltag und aus einer Zeitnot heraus schwierig zu bewältigen ist. In unserer Praxis versuchen wir, mit einem speziellen Demenz-Betreuungsprogramm auch die pflegenden Angehörigen zu unterstützen.

Was ist in einer Pflegesituation besonders belastend?

Wie Untersuchungen gezeigt haben, sind es nicht die Demenz-Symptome, wie Gedächtnisstörung, Vergesslichkeit und Orientierungsstörungen, welche die familiäre Pflege erschweren. Als eine größere Belastung empfinden pflegende Angehörige Verhaltensveränderungen des Patienten, wie Reizbarkeit und Aggressivität. Ebenso leiden viele unter Schlafstörungen. Wenn zum Beispiel das demente Familienmitglied die Nacht zum Tag macht, ist ein Zusammenleben kaum noch möglich.

Depressionen können Folge dieser Dauerbelastung sein. Was raten Sie Betroffenen?

In der Tat treten Depressionen häufig auf, etwa 35 bis 50 Prozent aller pflegenden Angehörigen dürften betroffen sein. Dauerstress begünstigt Depressionen: Die Betroffenen kommen nicht zur Ruhe, werden grüblerisch. Erschwerend kommt hinzu, dass sie manchmal rund um die Uhr in die Betreuung eingebunden sind. Soziale Kontakte lösen sich, sie schotten sich immer weiter ab. Häufig kommen für die Familie finanzielle Einbußen hinzu, was den Stress noch erhöht. Einerseits kann es hier sinnvoll sein, den Schlaf mit Medikamenten zu verbessern, auch ein Antidepressivum wäre zu überlegen. Andererseits ist es wichtig, aktiv zu werden und einen professionellen Pflegedienst hinzuzuziehen, damit der Angehörige Stress abbauen kann. Freunde besuchen, Hobbys pflegen und Sport treiben, das ist wichtig, um die Akkus wieder aufzuladen und einer Erschöpfung vorzubeugen. Interessant ist, dass ein Pflegeheim hier offenbar keine Lösung darstellt. Es hat sich gezeigt, dass die Depressivität der Angehörigen dann weiter anhält.

Wie kann der behandelnde Neurologe pflegende Angehörige praktisch unterstützen?

Zunächst sollte die Demenz abgeklärt und optimal behandelt werden. Hierdurch können wir die Verhaltensauffälligkeiten vermindern. Leider suchen die meisten Patienten und Angehörigen viel zu spät einen Neurologen auf. In einer frühen Phase der Erkrankung sind Therapien erfolgreich, denn der Erkrankungsverlauf kann dann oft herausgezögert werden. Viele Angehörige kommen erst zu einem Zeitpunkt, an dem für alle Beteiligten nichts mehr geht. Hier ist noch ein hoher Aufklärungsbedarf notwendig, vor allem über die frühen Symptome der Demenz. Wir bieten hierzu in unserer Praxis Gesprächsgruppen für Angehörige an, die sehr gut angenommen werden. Denn Austausch ist wichtig – zu merken, dass man als pflegender Angehöriger mit seiner Wut, Verzweiflung und den Sorgen nicht alleine ist. Ebenso halte ich viel davon, die Erkrankung verständlich zu erklären, um sie besser zu verstehen. Das erleichtert den Umgang, die Kommunikation und die richtige Gestaltung der häuslichen Umgebung.

Was ist nötig, um das System der häuslichen Pflege zu verbessern?

Wir brauchen viel mehr ambulante und stationäre Einrichtungen für Menschen mit Demenz! Bisher baut unser Gesundheitswesen darauf, dass sie überwiegend von Angehörigen gepflegt und betreut werden, die diese Tätigkeit alleine aber kaum bewältigen können. Eine Verbesserung der Versorgungsstruktur führt auch dazu, dass Pflegeversicherungen oder Krankenkassen mehr Kosten übernehmen. Dem aus dem Weg zu gehen, halte ich für kurzsichtig. Schon heute ist ersichtlich, dass es in unserer Gesellschaft in Zukunft mehr Hochbetagte und somit mehr Demenzkranke geben wird, aber immer weniger Angehörige, welche die Pflege übernehmen könnten. Hier ist die Sozialpolitik gefordert.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Schumann.

Dr. med. Carsten Schumann
Facharzt für Neurologie, Neuro Centrum Odenwald, Erbach und Groß-Umstadt