Epilepsie: Epilepsie im Kindesalter behandeln

Einzelne epileptische Anfälle bei Kindern sind nicht selten, meistens bleiben sie ohne Folgen. Oft handelt es sich dabei um Fieberkrämpfe. Kommt es jedoch wiederholt zu Anfällen, kann es sich um Epilepsie handeln, eine der häufigsten chronischen Erkrankungen des Nervensystems. Dann kommt es darauf an, das Risiko für weitere Anfälle zu vermindern. Ohne eine gezielte Therapie ist das nicht möglich. Prof. Dr. med. Ulrich Brandl erklärt, wann Kinder und Jugendliche behandelt werden sollten und welche Möglichkeiten es gibt.

Epileptische Anfälle bei Kindern sind für Eltern oft nicht als solche zu erkennen. Sie können sich nur durch einzelne Muskelzuckungen oder häufiges Hinfallen, aber auch als sogenannte Absencen darstellen, wobei die Patienten zeitweise abwesend wirken. Wichtig ist es, solche Situationen abzuklären und eine Behandlung zu beginnen, um die Entwicklung des Kindes nicht zu gefährden.

Anfälle beeinflussen das kindliche Gehirn

Krampfanfälle im Kindesalter spielen sich am noch unreifen Gehirn ab. Häufige Anfälle, vergleichbar mit elektrischen Kurzschlüssen zwischen den Nervenzellen, können das Gehirn zwar nicht schädigen, aber seine Entwicklung empfindlich stören: Die geistige Leistungsfähigkeit kann sich vermindern und das Gehirn sich so umstrukturieren, dass weitere Anfälle wahrscheinlich werden. Je jünger die Kinder bei Beginn der Epilepsie sind, desto eher erlernt das Gehirn eine Neigung zu weiteren Anfällen, falls eine Behandlung ausbleibt. Oft folgen auf harmlos wirkende Absencen oder myoklonische Anfälle – unkontrollierte Muskelzuckungen – auch große, generalisierte Anfälle. Deshalb richtet sich der Beginn einer Behandlung kaum nach der Art der Anfälle, sondern vor allem danach, wie häufig sie auftreten.

Nach zwei Anfällen sollte behandelt werden Bei Epilepsien mit sehr geringer Anfallshäufigkeit und einer guten Chance auf spontane Ausheilung ist keine Behandlung notwendig. Manche Kinder haben auch nur einen einzigen Anfall in ihrem ganzen Leben. Deshalb wird üblicherweise noch nicht nach dem ersten Anfall mit einer Behandlung begonnen. Nach zwei Anfällen liegt das Risiko eines weiteren Anfalls bereits bei 73 Prozent, meist kommt es schon innerhalb eines Jahres zum nächsten Anfall. Daher empfehlen wir eine Behandlung meistens, wenn zwei Anfälle innerhalb eines Jahres auftreten. Wir geben Eltern auch zu bedenken, dass eine unbehandelte Epilepsie das Kind in ernste Gefahr bringen kann, wenn es etwa beim Klettern, Fahrradfahren oder Baden zu einem plötzlichen Anfall kommt.

So wirken Medikamente gegen Epilepsie

Antiepileptika verhindern Anfälle, beseitigen aber nicht die Ursache. Sie wirken auf das gesamte Gehirn, regulieren dort eine abnormale Erregbarkeit von Nervenzellen und stellen das Gleichgewicht zwischen hemmender und erregender Übertragung von Signalen wieder her. Je nach Epilepsieform reagieren Kinder wie Erwachsene jeweils auf bestimmte Gruppen von Wirkstoffen besser, auf andere schlechter. Es kann sogar zu einer Zunahme von Anfällen kommen, wenn ein unpassendes Medikament eingesetzt wurde. Die Wirkung eines antiepileptischen Medikaments hält nur solange an, wie eine ausreichende Menge davon im Gehirn vorhanden ist. Daher helfen sie nur bei ständiger und regelmäßiger Einnahme. Die meisten Wirkstoffe erhalten einen wirksamen Spiegel, wenn sie zweimal am Tag eingenommen werden. Antiepileptika gibt es als Tablette, Kapseln oder Saft, einige Wirkstoffe lassen sich auch spritzen oder als Zäpfchen verabreichen.

Nebenwirkungen und Risiken

Die größte Sorge bereiten den Eltern epilepsiekranker Kinder mögliche Nebenwirkungen der Medikamente. Tatsächlich gibt es kein Antiepileptikum, das Anfälle verhindern und keine unerwünschten Effekte mit sich bringen kann. Gefährliche Nebenwirkungen sind allerdings sehr selten. Manche Kinder reagieren auf bestimmte Antiepileptika auch mit Unruhe und Hyperaktivität. Hier unterscheiden sich Kinder deutlich von Erwachsenen, bei denen diese Nebenwirkungen viel seltener auftreten. Unruhe kann selbst durch Wirkstoffe hervorgerufen werden, die erwachsene Patienten eher müde machen. Ebenso ist das Risiko von Leberschäden gering – anders als viele Eltern befürchten. Für die meisten neueren Antiepileptika sind keine Leberschäden bekannt.

Chancen einer Off-Label-Behandlung

Je nachdem welche Form der Epilepsie vorliegt, wählen wir sorgfältig den für das Kind passenden Wirkstoff oder eine Kombination aus; die Bandbreite ist groß. Leichtere Epilepsieformen sind relativ rasch und gut zu behandeln. Dazu zählt die kindliche Absencen-Epilepsie. Die Rolando-Epilepsie – eine gutartige Herd-Epilepsie – bildet sich häufig auch ohne Behandlung wieder zurück. Bei schwer behandelbaren Epilepsien – ausgelöst durch Hirnschädigung oder angeborene Stoffwechsel­erkrankungen – ist es häufig notwendig, auf neuere Wirkstoffe zurückzugreifen. Neu entwickelte Medikamente werden immer zuerst für Erwachsene zugelassen, dann folgen Studien bei Kindern und schließlich eine Zulassung für das Kindesalter. Diese sogenannte Off-Label-Anwendung ist zulässig und sinnvoll, wenn mit bereits für Kinder zugelassenen Medikamenten kein ausreichender Behandlungserfolg erzielt wird. Bisher gibt es kein Antiepileptikum, das Kinder schlechter vertragen als Erwachsene.

Therapien ohne Medikamente

Es gibt nur wenige wirksame Therapieansätze, die ohne Antiepileptika auskommen. Alternative Heilmethoden, wie die Akupunktur, zeigen bisher keine Wirkung. Eine spezielle Ernährung kann die Behandlung unterstützen. Die ketogene Diät – vorwiegend Fette statt Mischkost – ist bei Kindern erst dann zu empfehlen, wenn die medikamentöse Behandlung nicht ausreichend wirkt. Viele Kinder verweigern allerdings diese Kost.

Manche Epilepsien können auch bei Kindern operativ behandelt werden. Das ist prinzipiell nur bei Herd-Epilepsien möglich und erfordert, dass die betroffene Gehirnregion ohne schwerwiegende Nachteile für den Patienten entfernt werden kann. Die Vagusnerv-Stimulation mit Hilfe eines eingepflanzten Geräts ähnlich dem Hirnschrittmacher kommt nur als zusätzliche Möglichkeit zur medikamentösen Therapie in Frage. Allerdings bewirkt diese Methode nur selten völlige Anfallsfreiheit.

Epilepsie kann ausheilen

Hat das behandelte Kind über einen längeren Zeitraum keine Anfälle mehr und ist das EEG unauffällig, kann der behandelnde Arzt die Medikamente reduzieren oder sogar die Therapie beenden. Bei etwa jedem vierten Kind heilt die Epilepsie mit der weiteren Hirnentwicklung aus und die Kinder sind spätestens nach der Pubertät anfallsfrei.

Prof. Dr. med. Ulrich Brandl
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Neuropädiatrie, Universitätsklinikum Jena