Multiple Sklerose: Blasenstörungen – Harndrang und Inkontinenz bei MS entgegenwirken
Schätzungen zufolge entwickeln vier von fünf Patienten mit Multipler Sklerose im Laufe der Zeit Probleme mit ihrer Harnblase. Wie sich diese bemerkbar machen, was sie für Betroffene bedeuten und wie Ärzte sie behandeln können, darüber haben wir mit Frau Prof. Dr. Daniela Schultz-Lampel, Direktorin des Kontinenzzentrums Südwest in Villingen-Schwenningen, gesprochen.
Interview: Anne Göttenauer
Woher kommen Blasenprobleme bei MS-Patienten?
Als Folge der Multiplen Sklerose kann es dazu kommen, dass die Nervensteuerung der Blase nicht mehr richtig funktioniert, wir Ärzte nennen das auch eine neurogene Blase. Durch diese Störungen verkrampft sich die Muskulatur der Blase, sie wird überaktiv. Die Folgen sind häufiger und starker Harndrang mit oder ohne Inkontinenz und manchmal auch Schmerzen. Daneben kann es zu einer anderen Form der Blasenentleerungsstörung kommen, bei der Restharn in der Blase verbleibt, was wiederum zu chronischen Harnwegsinfekten führen kann.
Was bedeuten die Probleme für Betroffene?
Neben den körperlichen Symptomen kommt es häufig zu einer sozialen Isolation der Patienten. Das heißt aus Scham und Angst, dass ihr Umfeld die Blasenprobleme bemerken könnte, ziehen sich die Betroffenen zurück und meiden soziale Kontakte und Aktivitäten. Dies wirkt sich negativ auf das Selbstwertgefühl und auf die Lebensqualität aus. In einigen Fällen entwickeln Patienten sogar eine Depression.
Warum sprechen viele Patienten das Thema auch bei ihrem Arzt nicht an?
Zwar sind immer mehr MS-Patienten durch Internet und vor allem Selbsthilfegruppen besser informiert als früher. Dennoch sind Blasenprobleme für viele Menschen nach wie vor ein Tabuthema. Dazu kommt, dass auch in vielen ärztlichen Praxen oft andere körperliche Probleme der MS-Patienten, z.B. Lähmungserscheinungen, im Fokus stehen. Betroffene sollten sich nicht scheuen, die Symptome anzusprechen, damit die Blasenstörungen frühzeitig festgestellt und behandelt werden können. Die wichtigsten Ansprechpartner dafür sind neben dem Neurologen ein auf Blasenfunktionsstörungen spezialisierter Urologe oder ein Kontinenzzentrum.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Manchmal kann eine Physiotherapie auch bei MS-Patienten helfen. Meist müssen jedoch Medikamente, sogenannte Anticholinergika, zur Ruhigstellung der Blase eingesetzt werden. Für Patienten, die diese Medikamente aufgrund möglicher Nebenwirkungen, wie Verstopfung, Mundtrockenheit oder Sehstörungen, nicht vertragen, ist die Behandlung mit Botulinumtoxin Typ A eine wirksame Alternative. Der Wirkstoff wird bei einer Blasenspiegelung in die Blasenwand gespritzt und löst so die Verkrampfung der Muskulatur, wodurch Harndrang und Inkontinenz gemindert werden. Der kurze Eingriff kann in örtlicher Betäubung oder einer kurzen Narkose durchgeführt werden. Die Wirkung hält sechs bis neun Monate an. Da die Therapie seit über einem Jahr auch für die Indikation der überaktiven Blase bei MS zugelassen ist, werden die Kosten mittlerweile von der Krankenkasse übernommen. Die Behandlung ist sehr gut verträglich. Als Nebenwirkung kann eine leichte Verschlechterung der Blasenentleerung auftreten, sodass sich die Patienten vorübergehend mittels eines Katheters regelmäßig den Restharn aus der Blase entfernen müssen. Meiner Erfahrung nach wird diese Maßnahme im Vergleich zu einer Inkontinenz von den Betroffenen aber als sehr viel weniger belastend empfunden.
Frau Prof. Schultz-Lampel, vielen Dank für das nette Gespräch.