Demenz: Pflegende Angehörige – Psychologische Hilfe annehmen!

Unter einer Demenzerkrankung leiden nicht nur die Patienten selbst, auch die Angehörigen sind körperlichen sowie seelischen Herausforderungen ausgesetzt, wenn sie sich der Betreuung und Pflege ihres erkrankten Familienmitgliedes widmen. Um zu vermeiden, dass dabei persönliche Bedürfnisse, soziale Kontakte und auch die eigene Gesundheit leiden, gilt es, die Pflegenden zu unterstützen.

Von rund 1,4 Millionen Demenz-Patienten in Deutschland werden über 70 Prozent zuhause von einem Familienmitglied betreut oder gepflegt. Das kostet nicht nur Zeit, die Angehörigen vernachlässigen über ihre Arbeit für den Patienten oft auch ihr eigenes Leben. Seien es andere Familienmitglieder, wie Partner oder Kinder, die persönliche Gesundheit oder der soziale und/oder berufliche Alltag – in vielen Bereichen stellen die Betroffenen ihre eigenen Bedürfnisse hinten an, um sich voll und ganz dem Demenzkranken zu widmen.

Gesundheitliches Risiko

Dass die Aufopferung für das erkrankte Familienmitglied auf Dauer sowohl körperliche als auch seelische Folgen haben kann, weiß auch Diplom-Psychologin Kathi Albrecht vom Institut für Psychologie der Universität Jena: Studien zeigen, dass pflegende Angehörige – insbesondere von Demenz-Patienten – ein vielfach erhöhtes Risiko haben, selbst unter physischen und psychischen Erkrankungen zu leiden. Umso wichtiger ist es, diesen Angehörigen zu helfen und ihnen Unterstützung anzubieten. Wie eine psychologische Unterstützung aussehen kann, testet Albrecht zurzeit zusammen mit Kollegen der Universitäten Jena und Hildesheim. Wir haben in einer vorherigen Untersuchung bereits festgestellt, dass sich durch eine dreimonatige telefonische Beratung der Angehörigen deren Gesundheitszustand verbessern lässt, depressive Verstimmungen zurückgehen und sich die Lebensqualität erhöht. Nun wollen wir wissen, inwieweit sich solche positiven Effekte für die Angehörigen durch eine längere Unterstützung noch steigern lassen.

Negative Gefühle verarbeiten

Dabei beinhaltet die Beratung zwar auch mal die ein oder andere Hilfestellung zu Alltagsproblemen, in erster Linie geht es aber darum, dass die Angehörigen lernen, mit der psychischen Belastung und daraus resultierenden Schwierigkeiten für ihr eigenes Leben umzugehen. Eines der Hauptprobleme für die Betroffenen ist, mit Verhaltensauffälligkeiten oder Persönlichkeitsveränderungen des Erkrankten zurechtzukommen, so Albrecht. Nicht selten ändere sich mit der Erkrankung das Verhalten der Patienten, viele seien aggressiv und beschimpften die Familienmitglieder. Andere Erkrankte gewöhnten sich seltsame Verhaltensweisen an, wie Singen oder das ständige Wiederholen einzelner Sätze. Viele solcher Verhaltensmuster belasteten nicht nur die persönliche Beziehung, auch führten sie dazu, dass sich die pflegenden Angehörigen aus Scham mit dem Erkrankten nicht mehr in die Öffentlichkeit trauten, so Albrecht.

Trauer zulassen

Weitere Gefühle, mit denen die Angehörigen fertig werden müssen, sind Wut und Trauer. Letzteres vor allem deshalb, da es im speziellen Fall der Demenz nicht einfach ist zu erkennen, dass man den Erkrankten Stück für Stück verliert oder bereits verloren hat, obwohl er körperlich noch anwesend ist, weiß die Psychologin. Das können viele Angehörige nur schwer einordnen. Nicht zuletzt gönnten sich die Betroffenen meist selbst keine positiven Erlebnisse oder Entspannungsphasen, aus schlechtem Gewissen und Pflichtgefühl dem Erkrankten gegenüber. Wir versuchen, den Angehörigen zu helfen, ihre eigenen Bedürfnisse und auch körperliche und seelische Grenzen zu erkennen und darauf Rücksicht zu nehmen.

Familie leidet mit

Diese Erkenntnis hat auch Gisela Grimm aus Bad Kreuznach geholfen. Die 62-Jährige pflegte ihre an Demenz erkrankte Mutter über viereinhalb Jahre zuhause. Ich habe zu der Zeit mein gesamtes Leben der Pflege meiner Mutter untergeordnet. Tag und Nacht kreisten meine Gedanken nur um sie. Darüber habe ich sowohl meine Familie vernachlässigt – ich wurde meinem Mann und meinen Töchter gegenüber immer unleidlicher – als auch meine eigene Gesundheit. Wegen des fehlenden Schlafs, da meine Mutter nachts sehr unruhig war, war ich immer erschöpft, hatte Herzrasen und mein Blutdruck stieg an. Dazu kam, dass ich mein berufliches Arbeitspensum herunterschraubte und meine sozialen Kontakte komplett abbrachen, ich nicht mehr dem Haus ging oder wir nicht mehr in den Urlaub fuhren, erzählt Frau Grimm. Ein Problem sei sicher auch gewesen, dass sie die Pflege ihrer Mutter nicht in fremde Hände geben wollte; niemandem zutraute, diese anspruchsvolle Arbeit mit der gleichen Hingabe und Qualität wie sie zu verrichten.

Sich selbst wiederfinden

Einzusehen, dass dieser Zustand auf Dauer aber keine Lösung gewesen ist, war ein schwieriger Prozess, so Gisela Grimm. Meine Tochter sagte eine Tages, dass es so nicht weitergehen könne und recherchierte, welche Hilfe es für uns geben könnte. Dabei ist sie auf die Studie gestoßen, in deren Rahmen pflegende Angehörige psychologische Unterstützung bekommen. An dieser Untersuchung habe ich dann teilgenommen und über ein halbes Jahr regelmäßig mit Frau Albrecht telefoniert. Sie habe ihr geholfen zu erkennen, wie weit man für die Aufopferung für ein geliebtes Familienmitglied gehen und dass man sich dabei nicht selbst opfern dürfe. Durch die Gespräche habe ich viel über meine eigenen Bedürfnisse erfahren und auch die Kraft für die Entscheidung bekommen, meine Mutter vor vier Monaten doch in ein Pflegeheim zu geben. Das war nicht leicht und ich musste lernen, sowohl mein schlechtes Gewissen und meine Trauer darüber zu verarbeiten als auch den dortigen
Pflegekräften zu vertrauen, dass sie meine Mutter gut versorgen.
Dennoch bereue sie ihre Entscheidung nicht, so Frau Grimm. Inzwischen wisse sie, dass es ihrer Mutter in dem Heim gut gehe und sie selbst sei dabei, ihrem eigenen Leben wieder mehr Priorität einzuräumen. Meine
Beziehung zu meinem Mann hat sich stabilisiert, da er nicht mehr so unter meinen Launen leiden muss. Wir genießen unsere Freizeit, fahren auch mal wieder weg. Und ich treffe Freunde und Bekannte, die ich lange vernachlässigt habe
. Als Fazit ihrer Studienteilnahme könne sie nur jedem, der einen an Demenz Erkrankten betreut, raten, sich vor allem psychologische Hilfe zu suchen. Mit den dadurch gewonnenen Erkenntnissen könne man besser die Belastungen des Pflegealltags sowie den Umgang mit dem Erkrankten meistern und sich dann auch leichter Unterstützung in der Pflege suchen.

Studienteilnahme möglich

Wir hoffen, dass die positiven Ergebnisse unserer Untersuchungen überzeugen und eine entsprechende psychologische Unterstützung von pflegenden Angehörigen sich eines Tages in bestehende Strukturen im Gesundheitssystem integrieren lässt, um möglichst vielen Betroffenen helfen zu können, so Kathi Albrecht. Dazu würden bereits Gespräche mit Krankenkassen geführt und die Studien würden vom Bundesgesundheitsministerium unterstützt. Da die aktuelle Studie noch läuft, werden auch noch Teilnehmer gesucht.

Pflegende Angehörige können sich bei Interesse gerne melden unter Tel.: 03641/945175 (Montag 13 – 14 Uhr und Dienstag 9 – 10 Uhr) oder Tel.: 03641/945178 (Mittwoch 10 – 11 Uhr und 16:30 – 17:30 Uhr) oder per Mail an teletandem@uni-jena.de. Neben der telefonischen Beratung im Rahmen des Projektes kann in Berlin, Jena und München zudem persönliche Unterstützung in Anspruch genommen werden.