Multiple Sklerose: Soll ich wechseln?

Mehrere neue Medikamente für die MS-Therapie sind auf dem Markt, die Bandbreite der Behandlungsmöglichkeiten ist größer denn je. NTC-Neurologen berichten über erste Erfahrungen mit den neuen Tabletten und helfen zu klären, wann ein Wechsel sinnvoll ist.

Als neuen Wirkstoff in der MS-Therapie gibt es seit wenigen Monaten Teriflunomid. Groß ist die Nachfrage in den NTC-Praxen nach einer oralen Basistherapie. Längst aber nicht alle MS-Patienten denken gleich an einen Wechsel, nur weil sie spritzenmüe sind. Dr. med. Michael Lang aus Ulm: Patienten, die sich für eine Behandlung mit neuen Wirkstoffen interessieren, wünschen sich eine besser wirksame und verträglichere Basistherapie. Eine sichere und effektive Behandlung der Multiplen Sklerose ist für sie zunächst wichtiger als die Aussicht auf ein Ende der Spritzentherapie. Bereitet die Basistherapie dauerhaft gravierende Probleme, rät der Neurologe zu einem Wechsel des Behandlungskonzepts: Entscheidend ist eine frühe und konsequente Therapie.

Hoffnung auf weniger Beschwerden

So denkt auch Marina, 34 Jahre. Sie hat schubförmige MS, spritzte drei Jahre lang regelmäßig Interferone. Eine wirksame Basistherapie, doch für sie schlecht verträglich. Die Nebenwirkungen waren bei ihr seit Therapiestart nicht ab-geklungen: Nach dem Spritzen kämpfte sie mit Ibuprofen gegen Kopf- und Gliederschmerzen und Fieber mit Schüttelfrost an, meistens vergeblich. Die Haut an den Einstichstellen färbte sich blau und tat weh. Manchmal hatte sie die Behandlung aus eigenen Stücken für Tage unterbrochen. – Für Marina wäre ein Therapiewechsel womöglich eine gute Alternative.

Sie ist vor Kurzem auf Teriflunomid umgestiegen. Blut- und Leberwerte waren in Ordnung, ein MRT-Kontrollbild ihres Gehirns war gemacht, da hatte ihr Neurologe grünes Licht gegeben. Jetzt nimmt sie jeden Tag eine kleine blaue Filmtablette. Zur Wirkung kann sie nach der kurzen Zeit noch nicht viel sagen. Teriflunomid reduziert – anders als Interferone – körpereigene autoaggressive Immunzellen und hat in Studien bei der Verringerung der Schubrate und in der Verlangsamung der Krankheitsprogression gut abgeschnitten. Die Wirksamkeit ist nach aktueller Studienlage vergleichbar mit der von bewährten Substanzen. Allerdings gehört zur neuen oralen MS-Therapie auch eine engmaschige Kontrolle der Laborwerte und des Blutdrucks, am Anfang alle zwei Wochen. Ob diese orale Behandlungsform auch die Therapietreue verbessert, wird sich erst zeigen, gibt Dr. Lang zu bedenken. Frauen, die sich ein Kind wünschen, raten Ärzte zur Vorsicht: Teriflunomid bleibt monatelang im Körper gespeichert und könnte dem ungeborenen Kind schaden, so der NTC-Neurologe. Deshalb müssen vor einer Umstellung auf Teriflunomid alle grundsätzlich verfügbaren Alternativen mit dem Patienten besprochen werden.

Das neue Tabletten-Trio

Nach Fingolimod und Teriflunomid kommt mit den Fumarsäure-Kapseln in diesen Tagen das dritte orale Medikament in die Apotheken. Bekannte Nebenwirkungen sind Magen-Darm-Störungen, die in Tests nach einigen Wochen meistens abgeklungen sind. Ob Fumarsäure neben der Schubreduktion auch Nervengewebe schützen kann, wie in Experimenten gezeigt werden konnte, wird sich in den nächsten Jahren in der Praxis erweisen müssen.

Neue Infusion bei hochaktiver MS

Für Menschen, bei denen bewährte Basistherapeutika nicht mehr ausreichend wirken, steht der monoklonale Antikörper Alemtuzumab als Infusion zur Verfügung. In Studien konnte er die Schubrate im Vergleich mit Interferonen um die Hälfte verringern und ebenso das Auftreten weiterer Behinderungen verlangsamen. Allerdings sind die Nebenwirkungen und das Infektionsrisiko nach jeder Infusion hoch. Eine monatliche Kontrolle über fünf Jahre ist ein Muss bei dieser Therapie-möglichkeit, so Dr. med. Klaus Tiel-Wilck. Im Prinzip ist eine Behandlung bereits in Kliniken und Großpraxen möglich; über die Verordnungsfähigkeit dieser teuren Behandlung wurde bei den Gesundheitsbehörden bei Redaktionsschluss noch verhandelt.

Auf der sicheren Seite

Die Frage, ob die neuen MS-Basistherapien wirksamer sind als die bewährten, lässt sich derzeit nicht beantworten. Was die Verträglichkeit der Nebenwirkungen eines Medikaments betrifft, kommt es auch auf den einzelnen Patienten und sein persönliches Empfinden an. Der Vergleich zwischen neuen und alten Therapien führt daher nicht weit.

Ein Vorteil bewährter MS-Therapien – zum Beispiel Betainterferone und Glatirameracetat – liegt in der langjährigen praktischen Erfahrung. Die Sicherheit, die wir bei der Anwendung bewährter Wirkstoffe haben, ist bisher unschlagbar, bestätigt Dr. Tiel-Wilck. Denn immer besteht ein Risiko, dass sich die Erkrankung plötzlich ändert, wenn auf einen anderen Wirkstoff umgestellt wird. Die MS kann dann an Fahrt aufnehmen und ein beschleunigter Verlauf ist unter Umständen nicht umkehrbar, auch wenn Patienten wieder auf ihre herkömmliche Therapie, zum Beispiel Interferone, zurückgreifen, erklärt Dr. Lang.

Ein weiterer Vorteil bewährter Therapien liegt in der Genauigkeit der Behandlung: Bei der oralen MS-Basistherapie ist eine fixe Dosis vorgesehen, mehr Spielraum zur Dosierung bieten Injektionstherapien mit Interferonen, so Prof. Dr. med. Peter Rieckmann, Chefarzt der Neurologie im Bamberger Klinikum am Bruderwald. Das Für und Wider eines Wirkstoffwechsels will also je nach Krankheitssituation und Lebensplanung sorgfältig erwogen sein.

Was in Zukunft sicher möglich ist: Ohne Therapiepause von den bewährten Wirkstoffen auf die neuen oralen zu wechseln und auch wieder zurück auf Interferone zu gehen, falls es nach der Umstellung zu mehr Schüben oder größerer Unverträglichkeit kommt.