Demenz: Erster Besuch in der Gedächtnisambulanz

Namen, Nummern, Nachrichten – Wo einmal Gewissheit war, tauchen plötzlich Löcher im Gedächtnis auf. Ist es vielleicht Demenz? Viele ältere Menschen und ihre Familien stellen sich besorgt diese Frage. Dann lohnt es sich, Gewissheit zu bekommen.

Der Wegweiser springt einem nicht gerade ins Auge. Suchender Blick, Umherirren in der Eingangshalle des Psychiatrie-Gebäudes der Uniklinik Hamburg-Eppendorf, Stopp vor einem Schwarz-Weiß-Puzzle aus unzähligen Schrifttäfelchen. Aha, da steht es ja: Gedächtnisambulanz. Hier geht’s lang…

Gut, dass die meisten Besucher bei ihrem ersten Termin in der Gedächtnissprechstunde lieber in Begleitung kommen – vier Augen finden mehr als zwei –, mit einem Überweisungsschein vom Hausarzt oder Neurologen in der Tasche. Sie wollen wissen, was da im Kopf los ist, warum so vieles nicht mehr funktioniert wie früher. Oft wünschen Partner und Kinder eine Klärung, manchmal auch die Betroffenen selbst.

Das erste Gespräch

Dr. med. Kai Boelmans ruft die Patienten persönlich in sein Sprechzimmer: Die ersten 15 Sekunden Kontakt sind aufschlussreich, da geht es um die weichen Faktoren, sagt der Neurologe. Finden sofort ein Blickkontakt statt, ein Handschlag zur Begrüßung, steuert der Patient ziel-sicher den Besuchersessel an, speichert der Facharzt das ab. Denn souveränes Auftreten ist selten bei Demenz, ebenso wie eine selbst erstellte Liste der Beschwerden: Strukturiertheit spricht nicht für eine AlzheimerDemenz, so Dr. Boelmans.

Wo zeigen sich Probleme?

Vergesslichkeit ist nicht immer der Grund, weswegen die Angehörigen auf die Untersuchung eines Familienmitglieds drängen. Auffällig verlangsamte Handgriffe und Veränderungen im Wesen sind Symptome, die den gemeinsamen Alltag erschweren, erklärt der Klinikarzt. Wut, Vorwürfe und Streit gehören da plötzlich zum Leben, ein Sich-Verlaufen auf bekannten Wegen oder auch Zahlendreher beim Online-Banking. Es gibt viele Formen der Demenz, Alzheimer ist nur eine davon, sie macht sich mit Gedächtnisstörungen bemerkbar. Die frontotemporale Demenz dagegen zeigt sich vor allem über auffälliges Verhalten: zum Beispiel kindische Tischmanieren, Spielsucht, überhöhtes Sexbedürfnis, Diebstahl.

Die neurologische Untersuchung

Beim ersten Termin lässt der Neurologe gerne die Angehörigen erzählen, um sich ein Bild vom Patienten zu machen. Routiniert schätzt er ein: Gibt es erste Hinweise auf andere Erkrankungen, etwa Depressionen oder Morbus Parkinson? Spielen Medikamente, Alkohol- oder Nikotinmissbrauch eine Rolle im Leben? – Hier geht es darum, Anhaltspunkte zu finden: Ob eine Demenz vorliegt, lässt sich nicht im Erstgespräch herausfinden. In der anschließenden neurologischen Untersuchung prüft der Arzt Stehen, Gehen, Balance, Reflexe, Blickfolge. Das alles ist wichtig auf dem Weg zur gezielten Diagnose.

Die rund 650 Menschen, die pro Jahr in die Sprechstunde der Hamburger Uniklinik zur Demenz-Frühdiagnostik kommen, sind in ihren 60er- und 70er Lebensjahren und haben bereits einen kurzen Test beim Hausarzt hinter sich. Bei 80 Prozent von ihnen stellt der Gedächtnisexperte einen Befund. Die Palette reicht von einer leichten kognitiven Störung bis zur frontotemporalen Demenz, die selten vorkommt.

Der neuropsychologische Test

Nun geht es darum herauszufinden, welche Gehirnleistungen schwächer im Vergleich zum gesunden Altersdurchschnitt sind. Dazu führt Diplom-Psychologe Jan Lembeck den Patienten ins Nebenzimmer. Wir brauchen eine Dreiviertelstunde in aller Ruhe, um Merkfähigkeit, Konzentration, Zeitgefühl und logisches Denken zu testen. Der Neuropsychologe präsentiert ein Ringbuch und blättert langsam Seite für Seite um: Baum, Stange, Königin… Zehn Begriffe sind es, die man sich merken und dann aufsagen soll. Noch zwei Durchgänge in anderer Reihenfolge sind möglich. Für Menschen mit Demenz ist das keine leichte Aufgabe, erklärt Lembeck. Einer seiner Patienten, der zwei Mal im Jahr zur Kontrolle in die Gedächtnisambulanz kommt, schaffe zuerst drei Begriffe, im dritten Durchgang könne er sich immerhin die Hälfte der Wörter merken.

Im Alltag komme jener 80-Jährige gut zurecht. Regelmäßiges Gedächtnistraining und vorübergehend ein leichtes Medikament haben offenbar dazu beigetragen, die Alzheimer-Demenz bei ihm seit Jahren stabil zu halten.

Rot, grün, blau

Bei der nächste Übung läuft die Stoppuhr: Nennen Sie die Farbe, in der die einzelnen Farbwörter gedruckt sind! – eine Aufgabe, bei der fast jeder Mensch ins Stocken geraten dürfte. Sämtliche dieser Übungen gehören zu dem für Gedächtnisambulanzen standardisierten CERAD-Test, mit dem sich recht zuverlässig die kognitiven Funktionen überprüfen lassen. Konkrete Hinweise auf eine Alzheimer-Demenz kann auch der Uhrentest liefern: Den Patienten fällt es dann schwer, ein Zifferblatt zu beschriften und darin eine Uhrzeit einzuzeichnen, erklärt Neuropsychologe Lembeck.

Erste Ergebnisse

Der erste Termin in einer Gedächtnisambulanz dauert zwei bis drei Stunden. Wenn die Tests und Untersuchungen ausgewertet sind, setzen sich alle Beteiligten zusammen. Wir klären Patienten und ihre Angehörigen darüber auf, welche Konsequenzen eine Demenz-Diagnose mit sich bringen würde, so Dr. Boelmans. Hat sich der Verdacht auf eine Demenz inzwischen erhärtet, rät der Neurologe zu einem weiteren Termin für eine klinische Untersuchung, um den Demenz-Typ genauer zu bestimmen. Ein Strukturbild des Gehirns (MRT) und die Untersuchung des Nervenwassers auf Biomarker können die Diagnose festigen. Das Uniklinikum Hamburg-Eppendorf bietet auch speziellere diagnostische Verfahren an, um seltene und atypische Formen der Demenz erkennen zu können.

Zeit gewonnen!

Und was bringt es, wenn die Diagnose Demenz feststeht? Auf jeden Fall ist mit der Früherkennung in einer Gedächtnisambulanz wertvolle Zeit gewonnen. Zeit, um den Verlauf einer Demenz positiv zu beeinflussen, womöglich auch mit Medikamenten. Und Zeit, den Alltag neu zu gestalten und sich dafür zu öffnen, sich von anderen mehr unterstützen zu lassen – das gilt für Betroffene wie auch für ihre Partner oder Kinder.