Epilepsie: Wann darf ich die Medikamente absetzen?

Ist ein Epilepsie-Patient unter einer wirksamen Therapie über lange Zeit anfallsfrei, kann versucht werden, die Medikamente langsam abzusetzen. Wann das möglich ist und was dabei beachtet werden sollte, weiß NTC-Neurologe Dr. med. Lienhard Dieterle, Ravensburg.

Wann können Arzt und Patient über ein Absetzen von Antiepileptika nachdenken?

Wichtigste Voraussetzung ist, dass der Patient über lange Zeit, also mindestens zwei Jahre, anfallsfrei war und man sich erhoffen kann, dass er dies auch ohne Medikamente bleibt. Das ist bei etwa 60 Prozent der Patienten der Fall. Grundsätzlich kann man sagen, je länger der Betroffene mit Antiepileptika keine Anfälle hatte, desto eher klappt ein Auslassversuch. Patienten sollten also Geduld haben, bevor sie eine Therapie beenden.

Zudem kommt es drauf an, unter welcher Epilepsieform man leidet. So ist bei einer Absence-Epilepsie die Chance sehr hoch, dass es nach langjähriger Anfallsfreiheit unter Medikamenten auch ohne diese zu keinem weiteren Anfall kommt. Dagegen ist bei einer myklonischen Epilepsie die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall ohne Medikamente sehr hoch. Dazu kommt, dass es hier ohne Therapie zu Grand-mal-Anfällen kommen kann, auch wenn der Patient vorher nur Petit-mal-Anfälle hatte.

Welche Rolle spielt die individuelle Lebenssituation?

Neben längerer Anfallsfreiheit und Epilepsieform finde ich es unerlässlich zu prüfen, ob der Auslassversuch in den momentanen Alltag des Patienten passt. Das heißt, er muss sich des Risikos eines Anfalls und den möglichen Auswirkungen bewusst sein. Ist beispielsweise die Anfallsfreiheit Voraussetzung für den Arbeitsplatz oder will man gerade den Führerschein machen, würde ich eher davon abraten, auf die Medikamente zu verzichten. Da mit dem Absetzen der Therapie der medikamentöse Schutz vor einem erneuten Anfall wegfällt, ist es zudem umso wichtiger, seinen Lebensstil entsprechend anzupassen und anfallsprovozierende Momente, wie Stress, Schlafentzug oder Alkoholkonsum, zu vermeiden.

Wie sollte man bei der Beendigung der Therapie vorgehen?

Grundsätzlich gilt, dass man die Antiepileptika erstens nur unter ärztlicher Aufsicht und zweitens nicht zu schnell absetzen sollte. Durch abruptes Weglassen riskiert man einen Grand-mal-Status oder Entzugsanfälle. Stattdessen sollte man in größeren Abständen von mindestens einem Monat die Dosis der Medikamente schrittweise verringern. Parallel dazu sollten regelmäßige EEG-Kontrollen stattfinden. Nur wenn diese keine erhöhte Krampfneigung anzeigen, kann das Ausschleichen der Therapie fortgesetzt werden. Dies kann sich bis zu einem Jahr hinziehen. Sind im EEG Veränderungen sichtbar, sollte man die aktuelle Dosierung nicht weiter verringern, sondern diese circa sechs Monate beibehalten und beobachten, wie es dem Patienten damit geht. Nur bei stabilem Gesundheitszustand können weitere Schritte geplant werden.

Kann ein Patient, bei dem ein erster Auslassversuch gescheitert ist, einen erneuten wagen?

Kommt es bei einem Patienten ohne Medikamente zu einem Anfall, sollte er natürlich sofort wieder auf eine wirksame Therapie eingestellt werden. Das gelingt bei etwa 80 Prozent der Betroffenen. Es spricht jedoch nichts dagegen, dass er bei wiedererlangter Anfallsfreiheit unter der Therapie ein erneutes Absetzen versucht. Allerdings wird man dieses Mal länger als beim ersten Mal warten, um das Risiko für einen Rückfall zu minimieren.

Herr Dr. Dieterle, vielen Dank für das interessante Gespräch.

Dr. med. Lienhard Dieterle
Neurologe, Ravensburg