chronisch krank: Den eigenen Weg gehen

Ziele beharrlich verfolgen, akute Krisen meistern – Chronisch Erkrankte müssen Ähnliches leisten wie Topmanager. Wie schaffen sie das bloß?

Das Bild des chronisch erkrankten Menschen wandelt sich. Immer mehr schwindet die traditionelle Ansicht, ein Patient sei der passive Mitspieler bei einer Behandlung. Stattdessen setzt sich die Auffassung durch, dass dem Patienten eine aktive, möglichst selbstbestimmte Rolle zukommt. Zudem nutzen Betroffene zunehmend ihr Recht auf Mitsprache und entscheiden über das Was und Wie ihrer Therapie zusammen mit ihrem behandelnden Arzt oder Psychologen.

Therapietreue ermöglichen

Einhellig befürworten auch Ärzteschaft, Krankenkassen und Gesundheitspolitiker die aktive Rolle des mündigen Patienten. Dabei schwingt allerdings eine Erwartung an die Betroffenen mit, die nicht jeder chronisch Erkrankte selbstverständlich erfüllt – dass er nämlich willens und in der Lage ist, eine hohe Eigenverantwortung für seine Gesundheit zu übernehmen und sich entschieden dafür einzusetzen, seinem – meistens kostenaufwändigen – Behandlungsplan treu zu bleiben. Denn ohne das in der Fachsprache als Adhärenz bezeichnete konsequente Festhalten an vereinbarten Therapiezielen ist ein in Aussicht gestellter Behandlungserfolg kaum zu erreichen. Kurz: Die beste Medizin nützt nichts, wenn der Patient sie nicht nimmt.

Was aber bewirken Therapien zum Beispiel bei Multipler Sklerose, Morbus Parkinson, bei Neuropathien oder Psychosen tatsächlich? Medikamente und therapeutische Maßnahmen können Beschwerden und Schmerzen lindern, langfristig den Krankheitsverlauf verlangsamen und dem Patienten in Aussicht stellen, dass er seine Lebensqualität bei konsequenter Anwendung so gut wie möglich erhält.

Krankheit bewältigen

Wenn keine Heilung in Sicht ist und man sich nach der Einnahme von Tabletten nicht besser fühlt, fällt es vielen schwer, eine Behandlung wie vereinbart durchzuhalten – auch wider besseres Wissen. Zu den häufigen Gründen eines Therapieabbruchs zählt – abgesehen von möglichen Unverträglichkeiten – die fehlende Zuversicht, dass sich das Schlucken von Tabletten oder das Spritzen auf Dauer lohnen.

Ausführliche Informationen und Appelle an die Willenskraft reichen alleine offenbar nicht aus, um zur Therapietreue zu motivieren. Mit unberechenbaren Gesundheitsprob-lemen klarzukommen und die damit verbundenen negativen Gefühle zu überwinden – also das, was Mediziner Coping nennen – ist keine Fähigkeit, die etwa mit der Krankheit mitgeliefert wird. Die Fertigkeit, eine gesunde innere Haltung einzunehmen und in jeder Situation angemessen zu handeln, will gelernt und gut eingeübt sein. Dann erhöhen sich auch die Chancen auf eine bessere Adhärenz.

Um Menschen im Umgang mit ihrer chronischen Erkrankung individuell zu unterstützen, gibt es eine Reihe von professionellen Angeboten – von den Hausbesuchen der Therapiebegleiterin über Selbsthilfegruppen bis hin zur Smartphone-App. Effektiv sind diese Maßnahmen aber erst dann, wenn Betroffene auch den persönlichen Nutzen darin für sich erkannt haben.

Gesundes Handeln lernen

Einen weiteren, vielleicht entscheidenden Schritt in diese Richtung unternimmt die Robert-Bosch-Stiftung. Zusammen mit der Medizinischen Hochschule Hannover etabliert sie zurzeit einen Selbstmanagement-Kurs speziell für chronisch erkrankte Menschen und Angehörige. Darin lernen Teilnehmer persönliche Strategien und Wege, um ihren Alltag nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu gestalten und die Herausforderungen ihrer jeweiligen Krankheit auch in kritischen Phasen zu bewältigen.

Selbstmanagement-Kurse

Das wissenschaftlich geprüfte Programm kommt aus den USA und wird bereits seit drei Jahren auch in der Schweiz und in Österreich angeboten. Hierzulande läuft gerade die Ausbildung der Selbstmanagement-Trainer. Auch sie sind selbst direkt oder indirekt von einer chronischen Krankheit betroffen. In Kooperation mit bislang einer Ersatzkasse sollen die Kurse unter der Bezeichnung »Gesund und aktiv leben« im Laufe dieses Jahres starten.

In dieser neuen Art der Patientenschulung wird es vor allem um prak-tische Antworten auf grundsätzliche Fragen gehen: Wie komme ich mit meinen Schmerzen und körperlichen Beeinträchtigungen besser zurecht? Wie bereite ich mich auf das nächste Arztgespräch vor? Wie motiviere ich mich, meine vereinbarten Ziele zu verfolgen? Die Idee ist, dem Teilnehmer Werkzeuge an die Hand zu geben, damit er selbst Lösungswege erschließen und eigenverantwortlich im Sinne seiner Gesundheit handeln kann.

Ein weiterer, wesentlicher Aspekt der Kurse ist, dass Zeit und Raum zur Verfügung stehen, um ein neues Selbstverständnis in einem durch körperliche oder kognitive Beeinträchtigungen geprägtes Leben zu entwickeln. Nur wenn auch das gelingt, können chronisch erkrankte Menschen sich selbst und ihrer Rolle des aktiven Patienten und somit auch den Erwartungen ihres Behandlungs-teams aus Ärzten, Therapeuten und Krankenkassen wirklich gerecht werden. kb