Epilepsie: Mein Freund hat Epilepsie

Epilepsien zählen zu den häufigsten Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Vielen Betroffenen fehlt der Mut, dazu zu stehen. Das könnte eine Freundschaft auf eine harte Probe stellen. Soweit muss es aber nicht kommen.

Sabine traf Paul bei Freunden. Es war Liebe auf den ersten Blick für die 28-jährige Krankenschwester. Sie sahen sich öfter, freuten sich an gleichen Interessen und fühlten Schmetterlinge im Bauch. Dann geschah es: Die beiden machten es sich auf dem Sofa gemütlich, als Pauls Blick erstarrte und er auf Sabines besorgtes Aufrütteln nicht mehr reagierte. Er saß da wie ein Geist und bekam nichts mehr mit, erinnert sie sich. Nach etwa einer Minute kam der 30-Jährige wieder zu sich. War wohl ein Aussetzer, meinte er und damit hatte es sich dann, erzählt Sabine. Als sich die gleiche Situation wenig später auf einer Autofahrt wiederholte – Sabine hielt gerade vor einer Ampel – stellte sie ihn zur Rede. Zögernd gab Paul zu, dass er Absencen – Bewusstseinsstörungen – habe. In seiner Schulzeit sei es auch zu Anfällen gekommen. Sabine war schockiert darüber, dass der Mann, dem sie vertraute, sich seiner Epilepsie nicht zu stellen bereit war.

Falsche Ängste abbauen

Für eine gemeinsame Zukunft wollte Sabine Bescheid wissen. Was tun, wenn es zum Krampfanfall kommt? Vererbt sich Epilepsie? Wie mit Paul darüber sprechen? Sie fragte in Internetforen nach und folgte einer Empfehlung für ein Wochenend-Seminar im Rahmen des MOSES-Programms, das regelmäßig bundesweit in Epilepsie-Beratungsstellen oder in Facharztpraxen angeboten wird. MOSES steht für »Modulares Schulungsprogramm Epilepsie«, eine von Medizinern und Betroffenen entwickelte, anerkannte Patientenschulung. Initiator des Programms ist der Bielefelder Verein für Epilepsieschulung e. V., der von der Arzneimittelindustrie bezuschusst wird. Zertifizierte Trainer vermitteln an neun Abendterminen oder in zweitägigen Kompaktkursen Grundwissen und Vorschläge für den lebenspraktischen Umgang mit Epilepsie. Gesetzliche Krankenkassen übernehmen nach Absprache die Kursgebühren für Betroffene und Angehörige.

Experten in gemeinsamer Sache

Sabine fand bei MOSES Antworten auf brennende Fragen: Im Austausch mit den Teilnehmern habe ich begriffen, wie sehr die Angst vor Vorurteilen auf beiden Seiten eine Beziehung belastet. Das Gegenmittel: offen und einfühlsam miteinander umzugehen. Sie lernte, die Erkrankung ihres Verlobten einzuschätzen; erfuhr, dass Absencen auch Krampfanfälle ankündigen und dass Antiepileptika davor schützen können. Und ja, eine idiopathische generalisierte Epilepsie, so wie Paul sie offenbar hat, ist genetisch bedingt – was aber nicht heißt, dass sie sich auch auf die Kinder vererbt

Das MOSES-Schulungsprogramm gliedert sich in Module auf, Themen wie »Leben mit Epilepsie«, »Therapien« oder »Führen von Kraftfahrzeugen« werden erörtert. Kleine Gruppen lassen Raum für einzelne Fragen. So bekam Sabine von Teilnehmern wertvolle Tipps, wie sie zu Hause ein konstruktives Gespräch in Gang setzen kann. Das wirkte: Paul vereinbarte nach Jahren des Verdrängens schließlich einen Termin beim Facharzt, um sich mit seiner Epilepsie therapeutisch unterstützen zu lassen. kb