Psyche: Ich bin für dich da

Wie gehe ich mit jemandem aus der Familie um, der unter einer depressiven Verstimmung oder sogar einer Depression leidet? Joachim Saur, NTC-Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, erklärt, wie Angehörige unterstützen können.

Herr Saur, worin unterscheidet sich eine depressive Verstimmung voneiner Depression?

Depressiv verstimmt, leidet der Betroffene anhaltend unter großer Traurigkeit, ist aber noch eigenständig handlungs- und entscheidungsfähig. Das ist bei einer manifesten Depression nicht der Fall. Zu Antriebslosigkeit, sozialem Rückzug und Interessensverlust kommen körperliche Symptome. Das können Schlafstörungen sein, hoher Blutdruck, Schweißausbrüche, Bauchschmerzen, Konzentrationsprobleme, Panikattacken oder sogar Suizidgedanken.

Was können Angehörige tun, die bei einem Familienmitglied eine Depression vermuten?

Angehörige können keine Therapeuten ersetzen. Das heißt, je nach Ausprägung der Depression gehört die Behandlung definitiv in fachärztliche Hände. Von daher sollten Angehörige, die bei einem Familienmitglied über längere Zeit Veränderungen im Verhalten und in der Persönlichkeit bemerken, das Gespräch suchen und dem Betroffenen helfen zu erkennen, dass man eine Depression behandeln und sich damit das Gefühlsleben wieder bessern kann. Daher sollten sie ihn ermutigen, einen Psychiater oder Psychotherapeuten aufzusuchen, um mit dessen Hilfe herauszufinden, ob tatsächlich eine therapiebedürftige Depression vorliegt.

Wie können Familie und Freunde Betroffene unterstützen?

Im Alltag zählt vor allem, für den Betroffenen da zu sein und Kontakt zu halten. Viele Erkrankte haben weder die Kraft noch den Mut, um Hilfe zu bitten, wenn sie gebraucht wird. Wenn Angehörige oder Freunde von sich aus regelmäßig vorbeikommen und Unterstützung im Alltag anbieten, ist es leichter, diese anzunehmen. Das Gleiche gilt für die Hilfe bei Entscheidungen. Wichtig hierbei: Während einer depressiven Phase sollten keine lebensverändernden Beschlüsse, wie Jobwechsel oder Trennung, getroffen werden.

Einer aktuellen Studie zufolge sind perfektionistische Menschen besonders gefährdet, an einer Depression zu erkranken. Wie kann man ihnen helfen?

Ist ein Betroffener womöglich aufgrund zu hoher Ansprüche sowie damit verbundener Enttäuschungen depressiv, sollten diese Empfindungen zwar ernstgenommen, aber auch in geeigneter Weise abgefangen werden. Die Angehörigen sollten dem Betroffenen vermitteln, dass sie ihn mit Schwächen und Niederlagen mögen – und er dies auch tun sollte. Über die Hilfe beim richtigen Umgang mit Ärgernissen hinaus, ist es ratsam, den Blick des Betroffenen von sich selbst wieder auf andere schöne Dinge des Lebens zu richten. Zudem können Angehörige dabei helfen, wieder schrittweise Aufgaben und Verantwortung zu übernehmen sowie zu erkennen, dass man auch scheitern darf. Nicht zuletzt können sie dem Betroffenen neben regelmäßiger Bewegung vor allem nötige Ruhe- und Besinnungspausen ermöglichen, um innerer Unruhe entgegenzuwirken. ag

Joachim Saur
Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Neusäß