Demenz: Das Herz kennt keine Demenz

Musik kann die Herzen von demenzkranken Menschen öffnen und lang vergessene Erinnerungen wecken. Die meisten von ihnen fühlen sich dann einfach besser – körperlich und seelisch.

Die Musik setzt ein, ein paar Takte erklingen und schon summen die ersten mit. Bald singen alle Frauen und Männer, die sich an diesem Nachmittag im Pflegeheim zusammengefunden haben. Das Lied kennen die meisten noch aus der Jugend – dazu ging man samstags immer tanzen. Auch wenn Demenzpatienten im Laufe der Erkrankung viele Dinge aus Vergangenheit und Gegenwart vergessen – oft erinnern sie sich doch noch an die Musik, die in ihrem Leben wichtig war, sagt Graziano Zampolin. Der Hobbymusiker ist Mitinitiator des Projekts Klang und Leben.

Abwechslung im Heimalltag

Zusammen mit anderen Musikern geht Zampolin in Alten- und Pflegeheime, um dort zusammen mit demenzkranken Menschen zu musizieren und zu singen. Wir möchten Leben in Senioreneinrichtungen bringen, die Bewohner erfreuen und ihnen helfen, die positiven Effekte der Musik für ihr Wohlbefinden zu nutzen. Zampolin weiß genau, wovon er redet. Als Leiter eines Weiterbildungsinstituts für Gesundheitsfachberufe unterrichtete er früher nicht nur Führungskräfte von Heimen, er bildete auch Fachkräfte für die Pflege von Demenzpatienten aus. Doch die Ausbildung der Betreuer kann noch so gut sein – oft fehlt ihnen die Zeit, sich jedem einzelnen Patienten intensiv zu widmen, sagt Zampolin.

Mit Musik in die Vergangenheit reisen

Hier setzt das musikalisch-biografische Konzept des Projekts an: Über die Musik kann man viel über einen Menschen erfahren und diese Erkenntnisse dann in den Pflegealltag einfließen lassen. In fast allen Biografien spiele Musik eine Rolle – sei es durch das Erlernen eines Instruments, den regelmäßigen Tanzabend am Wochenende oder auch nur, weil in der Küche zu Hause ständig ein Radio dudelte. Bei unseren Heimbesuchen singen wir meistens Schlager oder Volkslieder der 30er bis 50er Jahre – die sind in den Herzen der Bewohner fest verankert.

Emotionen wichtiger als Fakten

Woran das liegt, weiß Professor Eckart Altenmüller, Neurologe und Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin der Hochschule für Musik und Theater in Hannover: Musik prägt unser Gefühlsleben, insbesondere in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter. Und weil bei Menschen mit Demenz das emotionale Gedächtnis stabiler sei als das Faktengedächtnis, lasse die Musik frühere Erlebnisse und Erinnerungen wieder lebendig werden. Untersuchungen zeigten, dass selbst schwer kranke Alzheimerpatienten noch in der Lage seien, ein einmal erlerntes Instrument zu spielen und sich sogar neue Lieder anzueignen, berichtet Professor Altenmüller.

Das gemeinsame Musizieren habe auch eine positive Wirkung auf die körperliche Gesundheit, sagt der Mediziner, der Klang und Leben unterstützt. Wir haben einen Fragebogen für Betreuende und Pflegende entwickelt, mit dem diese beurteilen können, wie sich die Musik auf das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz auswirkt, sagt Altenmüller. Demnach normalisiert Musik Blutdruck, Puls und Atmung. Bei Teilnehmern von regelmäßigen Musikveranstaltungen entspannen sich Körperhaltung und Mimik und der Appetit nimmt zu.

Positive Effekte für alle

Dass sich der Einsatz von Musik zudem positiv auf den Betreuungsalltag auswirkt, davon ist Graziano Zampolin überzeugt: Die Musik gibt den Erkrankten Sicherheit und Orientierung. Sie sind – das zeigen unsere Befragungen – sehr viel ruhiger und ausgeglichener. Das steigert wiederum die Lebensqualität von allen Beteiligten und erleichtert den Umgang miteinander. ag

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