Epilepsie: Bloß nicht überbehüten

Epilepsien gehören zu den häufigsten chronischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen – welche psychosozialen Herausforderungen diese gerade in der Pubertät mit sich bringen, erläutert Dr. Silvia Vieker, Neurologin an der Kinderklinik Bayreuth, im Gespräch mit NTC Impulse.

Frau Dr. Vieker, wie gehen Jugendliche mit der Diagnose Epilepsie um?

Wie jemand mit der Epilepsie umgeht, ist immer sehr individuell, hängt also vom Charakter des Einzelnen und dem engeren Umfeld ab. Was wir allerdings beobachten: Jugendliche, die ihre Diagnose sehr früh bekommen haben, achten eher darauf, Anfälle zu vermeiden und sich selbst zu schützen.

Wirkt sich die Pubertät auf die Krankheit aus?

Manche Epilepsien verschlechtern sich in dieser Phase. Das kann sehr belastend sein, weil gerade jetzt Äußerlichkeiten von großer Bedeutung sind – man möchte cool sein und von den Gleichaltrigen akzeptiert werden.

Wo gibt es die meisten Probleme?

Es kann vor allem im sozialen Bereich schwierig werden, also im Umgang mit Freunden, Klassenkameraden und Lehrern oder auch mit den Teamkameraden im Sportverein. Manche Jugendliche schämen sich wegen ihrer Krankheit, sind sehr ängstlich und ziehen sich zurück – bis hin zur Isolation. Es gibt aber auch diejenigen, die aus ihrer Epilepsie kein Geheimnis machen und schon mal einen guten Freund oder eine Freundin mit in die Sprechstunde bringen. Diesen Teenagern fällt es bedeutend leichter, ihre Krankheit zu akzeptieren.

Sie raten also dazu, sich zu der Krankheit zu bekennen?

Wie offensiv man mit der Erkrankung an die Öffentlichkeit geht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Sicher ist es sinnvoll, den engen Freundeskreis und dessen Eltern zu informieren. Auch sollten der Klassenlehrer und vielleicht die Betreuer im Sportverein Bescheid wissen.

Wie ist es mit dem Verhältnis zu den Eltern?

Ein Problem ist die übermäßige Behütung. Viele Eltern möchten ihr Kind in jeder Situation schützen. Jugendliche müssen aber lernen, in jeder Phase mit der Krankheit klarzukommen und die Probleme des Alltags selbstständig zu bewältigen. Natürlich kann es sein, dass Tabletten einmal nicht eingenommen werden oder der Schlaf zu kurz kommt. Gerade in der Pubertät passieren solche Therapiefehler häufiger. Besser als Verbote aufzustellen, ist die lange Leine. Die Jugendlichen laufen zu lassen, ist für die psychische Entwicklung der Heranwachsenden sehr wichtig.

Was raten Sie den Eltern?

Sie sollten versuchen, die eigenen Ängste in den Griff zu bekommen und ihren Sprössling als mündigen Patienten zu behandeln: Das fördert die Bereitschaft, bei der Therapie mitzumachen und offen über Probleme zu sprechen. Hilfreich ist auch ein guter Kontakt zu den Freunden des Sohns oder der Tochter. Sie haben oft einen besseren Draht zum eigenen Kind. Und: Man sollte sich immer wieder klarmachen, dass Jugendliche, wenn sie medikamentös gut eingestellt sind, meist nur geringe Einschränkungen haben. Sie können und sollten ihr Leben so gestalten, wie andere Gleichaltrige es auch tun*. ak

Dr. med. Silvia Vieker
Fachärztin für Neurologie, Bayreuth

 

*80-85 Prozent der Epilepsien können medikamentös so behandelt werden, dass Anfallsfreiheit erreicht wird ().