Demenz: Zu Hause alt werden

Zwei von drei Menschen mit Demenz leben daheim. Oft passt aber die Wohnung nicht mehr zu ihren Bedürfnissen. Zum Glück lassen sich Räume so einrichten, dass ein Leben zu Hause weiter möglich ist.

Was ist zu tun, damit Menschen mit geistigen Einschränkungen in ihren eigenen vier Wänden bleiben können? Um diese Frage geht es in dem bundesweit einzigartigen Modellprojekt Wohnen mit Demenz in Halle. Daran beteiligen sich neben dem Innenarchitekten Michael Antons auch Pflegewissenschaftler und eine Wohnungsgenossenschaft. Gemeinsam entwickeln sie Umbaupläne, damit sich betagte Menschen möglichst selbstbestimmt und sicher zu Hause bewegen können. Eine kürzlich fertiggestellte Musterwohnung wird derzeit auf ihre Praxistauglichkeit geprüft und weiter verbessert.

Schon jetzt lässt sich sagen, worauf es beim Wohnen mit Demenz ankommt. Wichtig ist eine deutliche Formensprache, sagt Antons. Das bedeutet: klare, horizontale Linien schaffen, für viel Licht sorgen und die Räume übersichtlich einrichten. Das interdisziplinäre Planungsteam in Halle geht von drei Gestaltungsprinzipien aus, die für den Alltag entscheidend sind: Sicherheit, Orientierung und Aktivierung. Auch bei der Renovierung einer bereits bestehenden Wohnung können diese Prinzipien helfen.

Sicherheit

Bad, Küche und Wohnräume sind idealerweise bereits barrierefrei konzipiert, bieten also ausreichend Platz für das Benutzen von Gehhilfe und Rollstuhl. Stolperfallen, wie lose Teppiche, erhöhte Türschwellen oder Stufen innerhalb der Wohnung, kommen nicht vor. In einem bestehenden Haushalt helfe es schon, sagt Antons, den sperrigen Couchtisch gegen eine schmalere Ablage am gewohnten Platz auszutauschen, um ein sicheres Aufstehen und Bewegen zu ermöglichen. Und statt die Türen zum Keller oder nach draußen abzusperren, um Unfälle zu verhindern, empfiehlt der Innenarchitekt, sie mit Vorhängen zu verdecken: So geraten sie aus dem Blickfeld.

Leicht nachzurüsten seien Handläufe in Flur, Küche und Bad. Günstig wirke sich eine indirekte, helle Ausleuchtung aller Räume aus. Michael Antons: Deckenstrahler dagegen blenden oft, vereinzelte Lampen werfen störende Schatten außerhalb der Lichtkegel – das erhöht das Stolperrisiko.

Orientierung

Dinge, die außerhalb des Gesichtsfeldes liegen, sind für Menschen mit Demenz schwer zu erreichen. Statt mal eben einen Löffel aus der Küche zu holen, verharren sie auf ihrem Platz oder reagieren gereizt. Sinnvoll sei es daher, Sichtachsen und freie Wege zu schaffen, sagt Antons: Vom Lieblingssessel sollte man bis in die Diele blicken können. Dafür lohne es sich, die Wohnzimmertür auszuhängen. Manchen älteren Menschen gelinge es nicht mehr, das zwei Ecken weiter gelegene Bad zu erreichen. Da hilft es, mit Pfeilen an den Wänden und Piktogrammen an den Türen einen sicheren Parcours durch die Wohnung auszuweisen, sagt der Innenarchitekt. In der Musterwohnung in Halle gibt es auf dem Fußboden sogar LED-Leuchten, wie man sie aus Flugzeugkabinen kennt, um nachts den Weg ins Bad zu finden. Als kleinere Lösung bieten sich fluoreszierende Sticker an, die man auf die Fußleisten kleben kann.

Manche Probleme lassen sich relativ leicht lösen. Silke Keller, Baufachfrau aus Bremen, berichtet vom Ehemann einer Klientin, der sich plötzlich nicht mehr in die Stube traute. Die Beraterin für barrierefreies Bauen und Wohnen tauschte daraufhin den schwarzen gegen einen hellen Läufer auf dem Treppenabsatz – die Hürde war beseitigt. Der Mann hatte offenbar Angst, in ein Loch zu treten, sagt Keller.

Aktivierung

Wer geistig angeregt wird, reagiert im Alltag weniger verwirrt und kommt leichter wieder zur Ruhe, sagen Altersmediziner. Bei der Wohnungsgestaltung kann man zum Beispiel die anregende Wirkung von Farben gezielt nutzen. So schaffen warme Wandfarben Geborgenheit und mit Kontrastfarben lassen sich einzelne Bereiche unterscheiden: Gelb könnte die Ruhezone und Grün den Telefontisch markieren. Signalrote Akzente ziehen die Blicke auf sich. Das kann ein Couchkissen sein, der Knauf an der Schranktür oder ein Lichtschalter, sagt Innenarchitekt Antons. Zur Rückbesinnung lade ein extra Tisch mit Fotoalben und Andenken ein.

Behutsam umgestalten

Möglicherweise ist der barrierefreie Umbau des Bades nötig, um einem älteren Menschen weiterhin seine Körperpflege zu ermöglichen. Für geistig eingeschränkte Personen kann das renovierte Badezimmer jedoch zu einem fremden Ort im eigenen Zuhause werden. Das müsse die Innenarchitektur berücksichtigen, sagt Michael Antons: Es ist nicht sinnvoll, die vertraute Umgebung auf einen Schlag umzukrempeln und neu zu gestalten – das schafft nur Irritationen.

Zukunftsfähig renovieren

Wenn Angehörige das Wohnumfeld eines älteren Menschen neuen Lebensbedürfnissen anpassen möchten, empfiehlt es sich also, Veränderungen in mehreren Etappen vorzunehmen. Dazu bieten gemeinnützige Vereine wie kom.fort in Bremen oder auch die Pflegestützpunkte der Diakonie Beratungen an. Sie vermitteln auch Fachleute, die bei der Planung helfen.

Ideal ist es, schon frühzeitig die zukunftsfähige Renovierung ins Auge zu fassen. Für den Umbau einer Wohnung gibt es zudem Fördermittel. So hat beispielsweise die KfW-Bank die private Förderung kürzlich aufgestockt und unterstützt Eigentümer, aber auch Mieter, mit einem Investitionszuschuss von 6.250 Euro pro Wohneinheit. Das Programm heißt Barriere reduzierte Sanierung und umfasst auch die Umgestaltung einer Wohnung bei geistigen Beeinträchtigungen.

Vieles wäre leichter, wenn die Wohnungen von vornherein altersgerecht gebaut wären. Einer Schweizer Studie zufolge liegen die damit verbundenen Kosten nur wenig höher als die Summen, die für das energetische Bauen in Deutschland heute bereits aufgewendet werden. kb