Parkinson: Zitterfrei zurück ins Leben

Der Parkinsonpatient und Geo-Redakteur Jürgen Broschart hat sich einer Tiefen Hirnstimulation unterzogen und den Tremor besiegt.

Jürgen Broscharts große Leidenschaft ist die Musik. Doch Gitarre, Geige und Klavier spielen – das ging irgendwann beim besten Willen nicht mehr. Das Zittern, das mit seiner Krankheit Parkinson einherging, hatte ihn unerbittlich im Griff. Der Alltag verlangte dem Wissenschaftsjournalisten unendlich viel Geduld ab: Schuhe anziehen, essen und trinken, die Tastatur seines Computers bedienen. Ich habe mich gefühlt wie ein Zombie, sagt er rückblickend, und irgendwie nicht mehr als vollwertiger Mensch.

Heftiges Zittern

Die Diagnose lag zu dem Zeitpunkt fünf Jahre zurück, der Geo-Redakteur hatte sie bereits mit Anfang fünfzig bekommen. Die Medikamente wirkten zwar zunächst sehr gut, doch wie so oft währte diese Honeymoon-Phase nicht lange. Danach half das Levodopa kaum noch – und die ergänzenden Agonisten, die den Botenstoff länger im Gehirn halten, führten zu starken Nebenwirkungen. Broschart schlief während der Arbeit ein oder fiel ohne Vorzeichen in Ohnmacht. Am stärksten beeinträchtigte ihn jedoch das unaufhörliche Zittern: Dieser Schlagtremor schüttelte meinen ganzen Körper durch, von morgens bis abends – es war unerträglich.

Jürgen Broschart begann, sich aus eigener Initiative mit der Tiefen Hirnstimulation (THS) auseinanderzusetzen. Für diese Behandlungsmethode werden in einer aufwändigen Operation Elektroden in das Gehirn implantiert, um mittels Neurostimulation* die Symptome zielgerichtet zu lindern. Broschart hat unter anderem das damals angebotene Fach Neurologie für Psychologen studiert und seine Frau, die im Gesundheitswesen arbeitet, hatte bereits vor knapp zwanzig Jahren mit den ersten Patienten zu tun, denen in Deutschland Hirnstimulatoren implantiert wurden.

Durch mein Studium, in dem ich selbst Hirngewebe seziert habe, hat dieses Verfahren bei mir sicherlich weniger Angst ausgelöst als bei anderen, sagt Broschart. Außerdem bin ich niemand, der lange fackelt. Die Entscheidung für den Eingriff war sehr schnell getroffen.

Große Hoffnung THS

Er vereinbarte ein Vorgespräch in der Neurochirurgie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, das drei Monate später stattfand, und dann einen OP-Termin, auf den er ein weiteres Dreivierteljahr warten musste.

Auf Verzögerungen müssen sich alle Patienten einstellen, die Operationstermine sind lange Zeit im Voraus ausgebucht. Allzu viele Spezialisten auf diesem Gebiet gibt es nicht, denn die THS ist noch immer eine seltene Behandlungsmethode: In Deutschland unterziehen sich ihr jährlich etwa nur 700 von rund 300.000 Parkinsonpatienten.

Als Broscharts OP-Termin endlich gekommen war, hielt sich seine Angst vor dem Eingriff zwar in Grenzen (Ich wusste ja, dass das Gehirn keine eigenen Schmerzen empfinden kann.) – aber einige Fragen beschäftigten ihn doch: Würde er nach der Hirn-OP noch derselbe sein? Könnte er zu einem Pflegefall werden? Und würde das Zittern tatsächlich nachlassen? In erster Linie verband er mit dem Tag jedoch große Hoffnung.

Wie beim Zahnarzt

Den ersten Teil der mehr als elfstündigen Operation erlebte der Patient bei vollem Bewusstsein. Das ist wichtig, damit die Elektroden an der richtigen Stelle mit den richtigen Kontakten eingesetzt werden. Ich war eigentlich ganz munter dabei, sagt Broschart rückblickend und lacht. Vom Geräusch her ist es ein bisschen wie beim Zahnarzt, aber das Gefühl ist schon mulmig, wenn man weiß: Der Chirurg bohrt jetzt nicht in einen Zahn, sondern in die Schädeldecke.

Nach dem Einsetzen der Elektroden folgten langwierige Tests. Broschart musste zählen, reden, singen. Immer wieder schickte das Ärzteteam neue Impulse durch das implantierte System und beobachtete dabei genau, wie der Patient reagierte. Einmal blieb meine Zunge am Gaumen kleben und ließ sich nicht mehr bewegen, das war nicht so lustig, erinnert er sich. Doch dann kam das erlösende Ergebnis: Das heftige Zittern hörte auf. Die Neurostimulation funktionierte.

Anschließend implantierten ihm die Ärzte unter Vollnarkose den Hirnschrittmacher unterhalb des rechten Schlüsselbeins. Das kleine Gerät gibt Signale an die Elektroden im Gehirn ab. Als Jürgen Broschart nach der OP aufwachte, war das eingetreten, was er als sein persönliches Wunder bezeichnet: Der Tremor war tatsächlich weitgehend verschwunden. Seine Hände zitterten nicht mehr, sein Körper war ganz ruhig. Die erste Zeit war gewöhnungsbedürftig. Es ging plötzlich alles wieder so viel einfacher und schneller, erzählt er. Ich wusste gar nicht, was ich mit der ganzen Zeit anfangen sollte.

Neue Lebensqualität

Nach der OP kann es zu Nebenwirkungen kommen, beispielsweise zu Sprechstörungen. Die Nebenwirkung, die ihn und seine Frau in den ersten drei Monaten nach dem Eingriff jedoch am meisten beeinträchtigte, waren unkontrollierbare Aggressionsschübe. Hierauf hatten mich die Ärzte zwar vorbereitet, sagt Broschart, und ich wusste, woher meine Launen kamen. Aber beeinflussen konnte ich sie deshalb trotzdem nicht. Inzwischen liegt der Eingriff mehr als ein Jahr zurück. Die Operation hat mir mehr geholfen, als ich je zu hoffen gewagt hätte, sagt der Redakteur, der nun in Altersteilzeit arbeitet. Sein Leben danach ist ein völlig anderes und wer von seiner Krankheit nichts weiß, merkt Jürgen Broschart überhaupt nichts an.

Stress vermeiden

Vielleicht hätte sich sein Alltag inzwischen sogar fast vollständig normalisiert – wenn er nicht im vergangenen Herbst in der Redaktion völlig unerwartet einen epileptischen Anfall bekommen hätte. Ich bin plötzlich einfach umgefallen, habe mir dabei den Kopf blutig gestoßen und lag zwanzig Minuten bewusstlos im Büro, berichtet Broschart.

Seitdem achtet er mehr als je zuvor darauf, Stress zu vermeiden. Nach Ansicht der Ärzte haben insbesondere Schlafmangel und Stress den epileptischen Anfall ausgelöst – aber auch die Narbenbildung im Gehirn kann dabei eine Rolle gespielt haben.

Trotz alledem: Jürgen Broschart empfiehlt die THS Parkinsonpatienten, die hauptsächlich unter Zittern leiden, ohne Vorbehalt weiter – wenn sie mit mehreren Ärzten abgeklärt haben, ob sie dafür geeignet sind. Dass ich das letzte Jahr so erleben durfte, wie ich es erlebt habe, ist ein unbeschreibliches Geschenk, sagt er. Für 2016 nimmt er sich noch mehr Ruhe und Freude vor. Das Frühjahr möchte er in passiver Altersteilzeit in Italien verbringen. Und er genießt das Leben ganz bewusst. Gitarre, Geige und Klavier gehören längst wieder dazu. nk

*Dabei werden bestimmte Nervenbahnen mittels elektrischer Impulse gezielt angeregt.