Polyneuropathien: Trotz allem ein gesundes Kind

Wie lassen sich Kinderwunsch und eine entzündliche Polyneuropathie vereinbaren? Und was tun, wenn die Nervenkrankheit erst in der Schwangerschaft auftritt?

Es fing mit einem stechenden Kribbeln an, erinnert sich Alexandra M. Beide Füße fühlten sich ständig an wie eingeschlafen und ich war sehr wackelig auf den Beinen. Zu diesem Zeitpunkt ist die junge Mutter mit dem zweiten Sohn in der zwölften Woche schwanger. Daher schiebt ihr Hausarzt die anhaltenden Beschwerden am nächsten Tag auf die Schwangerschaft. Er rät ihr, viel zu trinken und sich auszuruhen. Doch das hilft nichts. Die Symptome werden immer schlimmer, bereits nach zwei Tagen kann Alexandra kaum noch laufen. Ihre Gynäkologin schickt sie zum Neurologen, der sie direkt ins Krankenhaus überweist. Dort erhält sie prompt die Diagnose Guillain-Barré-Syndrom (GBS) – eine akute entzündliche Nervenerkrankung (Polyneuropathie).

Erfolgreiche Behandlung

Alexandra wird direkt auf die Intensivstation verlegt. Der zuständige Arzt ist zunächst verunsichert: Zwar weiß er, welche Therapien bei GBS helfen, aber dürfen diese auch in der Schwangerschaft angewandt werden? Nach Rücksprache mit der Gynäkologie bekam ich Infusionen mit Immunglobulinen, die mit der Zeit auch gut wirkten, berichtet Alexandra. Angst, dass sich die Medikamente negativ auf das Kind auswirken könnten, hatte ich dabei nie. Und mein Sohn kam ja dann auch knapp vier Monate nach Krankenhaus- und Reha-Aufenthalt gesund auf die Welt. Dass Immunglobuline in der Schwangerschaft in der Regel gut verträglich und ohne Nebenwirkungen für den Embryo sind, bestätigt Professor Hubertus Köller, Neurologe aus Hagen. Bei schwangeren Patientinnen ist das die Therapie der Wahl. Weniger geeignet sei in dieser Situation die Plasmapherese, eine ansonsten oft hilfreiche Therapie bei GBS. Köller: In der Schwangerschaft kann es dadurch zu Blutungskomplikationen kommen.

Kinderwunsch erfüllen?

Grundsätzlich spreche auch bei Patientinnen mit einer chronischen Erkrankungsform, etwa einer Chronischen Inflammatorischen Demyelinisierenden Polyradikuloneuropathie (CIDP), nichts gegen eine Schwangerschaft. Allerdings dürfen einige gebräuchliche Medikamente, wie Kortison oder Immunsuppressiva, dann nur in ganz seltenen Fällen gegeben werden, sagt Köller. Die Patientin muss seiner Ansicht nach auch ohne diese Medikation körperlich in der Lage sein, die Strapazen einer Schwangerschaft durchzustehen und danach den Alltag mit dem Baby zu meistern.

Schwangerschaft ist kein Schutz

Fraglich ist nach wie vor, inwieweit eine entzündliche Polyneuropathie durch eine Schwangerschaft ausgelöst werden kann. Lange habe man angenommen, dass eine Schwangerschaft einen gewissen Schutz vor autoimmunen Erkrankungen biete beziehungsweise deren Symptome zurückdränge, sagt Hubertus Köller. Das scheint aber nur für Multiple Sklerose zu gelten. Vor CIDP und GBS schützt eine Schwangerschaft nach allem, was wir wissen, nicht. Hierzu seien weitere Studien nötig. Ehemalige GBS-Patientinnen müssten jedoch keine Angst haben, schwanger zu werden, betont der Hagener Neurologe. Nach guter Erholung von der Krankheit besteht kein erhöhtes Risiko, durch eine Schwangerschaft erneut zu erkranken. Auch die Angst vieler Patientinnen, die Krankheit an das Kind zu vererben, sei unbegründet: Entzündliche Nervenerkrankungen haben keine genetische Ursache.

ag