Gehirn und Ernährung: Der Darm denkt mit

In unserem Verdauungsorgan tummeln sich Billionen von Bakterien. Sie helfen dort, die Nahrung zu zersetzen. Was manche überraschen mag: Auch unser Gehirn ist auf die Winzlinge angewiesen.

Herr Professor Wekerle, Studien haben gezeigt, dass sich nicht nur unsere Ernährung, sondern auch die Darmflora, das sogenannte Mikrobiom, auf unsere Hirngesundheit auswirkt. Über welche Kanäle kommunizieren Darmbakterien und Gehirnzellen miteinander?

Es gibt mehrere Wege. Zum einen verarbeitet das Mikrobiom manche Nährstoffe, wie Fett- oder Aminosäuren, die wir mit unserer Nahrung aufnehmen, zu Signalstoffen, die über das Blut ins Gehirn gelangen. Zum anderen beeinflusst das Mikrobiom das Immunsystem des Darms: Die Bakterien verändern die Immunzellen, von denen einige die Blut-Hirn-Schranke durchdringen können. Im Gehirn angekommen, entlassen diese Zellen ebenfalls Signalstoffe, die sich auf die Funktion der Nervenzellen auswirken. Darüber hinaus hat der Darm ein sehr komplexes Nervensystem, das über den Vagusnerv mit dem Gehirn in Verbindung steht.

Für die fehlerfreie Funktion des Gehirns scheint ein intaktes Mikrobiom unabdingbar zu sein. Wie aber wirken sich schlechte Darmbakterien auf das Denkorgan aus?

Eine ungünstige Zusammensetzung der Bakterien kann bewirken, dass schädliche Signalstoffe ins Gehirn gelangen. Auch auf die Multiple Sklerose kann das Mikrobiom Einfluss nehmen: Durch die Interaktion mit Darmkeimen werden Immunzellen aktiviert, die das Hirngewebe angreifen. Leider weiß man noch nicht, welche Bakterien das konkret sind.

Kann ich als Patient mein Mikrobiom verändern, um eine neurologische Erkrankung günstig zu beeinflussen?

Konkrete therapeutische Empfehlungen gibt es noch nicht, dafür ist die Forschung nicht weit genug gediehen. Der vielleicht wichtigste Rat mag trivial klingen, ist es aber nicht: Stark fetthaltige Lebensmittel sollten gemieden werden. Empfehlenswert ist eine mediterrane Kost mit viel Fisch, Gemüse, Obst und pflanzlichen Ölen.

Was halten Sie von den im Internet vielfach beworbenen Stuhltransplantationen?

Dazu kann ich nur sagen: Finger weg! Bislang gibt es keinerlei Belege für einen Nutzen dieses Verfahrens bei neurologischen Erkrankungen. Im Gegenteil – das Risiko, sich damit krankmachende Bakterien einzufangen, ist extrem hoch. ab

Prof. Dr. Hartmut Wekerle
erforscht am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in München die Entstehungsmechanismen von Krankheiten, die auf einen Konflikt zwischen Immun- und Nervensystem zurückgehen. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der Multiplen Sklerose.