Psyche: Wenn der Winter auf die Stimmung schlägt

Wer in der dunklen Jahreszeit dauerhaft niedergeschlagen und müde ist, könnte mehr als nur Stimmungsschwankungen haben. Hinter dem, was umgangssprachlich Winterdepression genannt wird, steckt womöglich ein Krankheitsbild, das sich medizinisch diagnostizieren lässt: die saisonale Depression.

Eva Schneider* hatte lange geglaubt, sie sei einfach nur launisch und fühle sich im Sommer eben besser. So ähnlich geht es vielen Menschen: In der warmen Jahreszeit sorgt die Sonne nicht nur für angenehme Temperaturen, sondern auch für viele helle Stunden, man trifft Freunde und unternimmt gemeinsam etwas an der frischen Luft. Im dunklen und kalten Winter hingegen machen es sich viele lieber mit Tee und Schokolade unter einer Decke gemütlich und schlafen viel.

Doch Eva Schneider fühlte sich immer niedergeschlagener und konnte sich schließlich kaum noch zu etwas aufraffen. Im Büro erledigte sie nur das Nötigste, zuhause ließ sie tagelang die Post ungeöffnet liegen. Irgendwann dämmerte ihr: Da stimmt etwas nicht. Sie ging zu ihrem Hausarzt, der sie untersuchte und feststellte: Organisch fehlte ihr nichts. Weil ihm ihr psychischer Zustand jedoch Sorgen bereitete, überwies er sie an einen Psychiater. Dessen Diagnose: Eva Schneider litt an einer saisonalen, also durch die dunkle Jahreszeit bedingten Depression.

Mit Schokolade ins Bett

Ungefähr ein Viertel aller Menschen fühle sich im Winter anders, sagt Carsten Sievers, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Wiesbaden. Die wenigsten von ihnen aber litten an einer saisonalen Depression. Nach Auskunft der Stiftung Deutsche Depressionshilfe sind rund fünf Prozent der Deutschen zwischen 18 und 65 Jahren an einer Depression erkrankt, weitere Altersgruppen mit eingerechnet sind etwa vier Millionen Menschen von der Krankheit betroffen. Die atypische saisonale Depression macht ungefähr fünf bis zehn Prozent davon aus, sagt Sievers. Entsprechend kann man davon ausgehen, dass ungefähr 200.000 bis 400.000 Deutsche im Winter an ihr leiden.

Vielen Betroffenen ist nicht klar, dass sie erkrankt sind, sagt der Facharzt. Hilfreich sei im ersten Schritt, sich ernsthaft zu fragen: Fühle ich mich gesund? Wertvolle Anhaltspunkte für eine Selbstdiagnose böten die Definitionen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Gesundheit und Depression. Zudem gibt es auch einen Selbsttest der Deutschen Depressionshilfe (siehe Kasten).

Die Symptome der saisonalen Depression sind im Grunde die gleichen wie die einer allgemeinen Depression, also gedrückte Stimmung, Antriebslosigkeit und Energieverlust, sagt Sievers. Allerdings kommen Symptome hinzu, die sich deutlich von der allgemeinen Depression unterscheiden, nämlich gesteigerter Appetit und Gewichtszunahme statt Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust sowie vermehrter Schlaf anstelle von Schlaflosigkeit. Eine saisonale Depression besteht dann, wenn die Symptome durchgängig für mindestens zwei bis vier Wochen vorliegen, und zwar in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Jahren zur Herbst-Winter-Zeit mit kürzerer Tageslichtdauer.

Lichttherapie und Medikamente

Die Ursachen der saisonalen Depression seien noch nicht vollständig erforscht, sagt der Wiesbadener Facharzt. Wahrscheinlich habe sie mit einer tageslichtabhängigen Überempfindlichkeit des Serotonin-Haushalts im Gehirn zu tun. Diese Veranlagung sei genetisch bedingt und existiere unabhängig von der Neigung zu einer allgemeinen Depression. Eindeutig nachgewiesen sei jedoch der Nutzen einer sogenannten Lichttherapie. Dabei verlängert man mit speziellen Lampen künstlich die Dauer des Tageslichts. Die Lampen sollten 10.000 Lux haben und in dieser Stärke jeden Tag mindestens eine halbe Stunde lang aus 60 bis 100 Zentimeter Abstand möglichst frontal auf das Gesicht strahlen, sagt Sievers. Am besten stelle man die Lampe neben sich auf, sobald es dunkel werde und so lange man wach sei. Die Therapielampen müssen allerdings privat angeschafft werden, da sie nicht im Leistungskatalog der Krankenkassen enthalten sind. Im Internet kann man gute Modelle bereits für etwa 100 Euro bestellen.

Die zweite Behandlungsmöglichkeit sind Medikamente. Bei der saisonalen Depression sind Antidepressiva besonders wirksam, da sie auf das Serotonin wirken, sagt der Experte. In den meisten Fällen genüge erfahrungsgemäß eine vier- bis achtwöchige Einnahme sogenannter Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Diese Form der Depression ist wie ein psychiatrischer Schnupfen, den man medikamentös oft nur kurz behandeln muss, erklärt Sievers. Hinterher seien die Symptome beseitigt und eine Behandlung für den Rest des Jahres nicht mehr nötig. Am besten bewährt habe sich eine Kombination aus Medikamenten und Lichttherapie. Weniger geeignet sei bei der saisonalen Depression eine Psychotherapie, da die Ursachen physiologischer und nicht psychischer Natur sind.

Anzeichen ernst nehmen

Eva Schneider hatte Glück, denn ihr Leiden wurde schnell erkannt: Dass Hausärzte eine Depression diagnostizieren, ist keineswegs selbstverständlich, sagt Sievers. Er berichtet von einer Studie mit mehr als 20.000 Hausarzt-Patienten, die zu dem Ergebnis kam, dass – abhängig vom Schweregrad – lediglich 30 bis 70 Prozent der Depressionen vom Hausarzt erkannt und von diesen wiederum nur 30 bis 40 Prozent fachgerecht behandelt wurden. Der Wiesbadener Experte rät Betroffenen daher: Fragen Sie den Arzt gezielt, ob eine Depression vorliegen könnte, wenn Sie unsicher sind. Oder wenden Sie sich selbst an einen Facharzt. Wer dazu nicht mehr in der Lage sei, weil der Antrieb fehle, solle Hilfe von Angehörigen oder Freunden annehmen und zulassen, dass diese sich um einen Arzttermin kümmern. Wer noch ausreichend Energie aufbringe, solle beherzt gegen den inneren Schweinehund vorgehen, sagt Sievers. Er empfiehlt: Betätigen Sie sich körperlich, pflegen Sie soziale Kontakte – und holen Sie einmal am Tag das Licht draußen ab. Am besten mittags, denn da scheint die Sonne bekanntlich am intensivsten. nk

Gut zu wissen

Habe ich eine Depression?

Definitionen der WHO:

Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.

Eine Depression ist eine weit verbreitete psychische Störung, die durch Traurigkeit, Interesselosigkeit und Verlust an Genussfähigkeit, Schuldgefühle und geringes Selbstwertgefühl, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit und Konzentrationsschwächen gekennzeichnet sein kann.

Selbsttest:

Abweichende Symptome bei saisonaler Depression:

  • vermehrter Appetit
  • Gewichtszunahme
  • starkes Schlafbedürfnis und vermehrter Schlaf