chronisch krank: Ab in den Urlaub!

Eine Auszeit vom Alltag fernab der heimischen vier Wände tut allen Menschen gut, auch und vielleicht gerade Patienten mit neurologischen Erkrankungen. Seien Sie also mutig: Überlegen Sie sich, welches Land Sie schon immer einmal besuchen wollten – und dann tun Sie es! Mit der richtigen Vorbereitung ist fast jede Reise möglich. Die unterwegs gesammelten Erlebnisse werden Ihnen garantiert neue Kraft für zu Hause schenken.

Eine der schönsten Reisen, an die Jürgen Klug sich erinnern kann, war die nach Katalonien. Ski gefahren ist er dort, mit Schlitten und Fahrrad war er unterwegs. Sogar einen Flug im Heißluftballon mit Blick auf die tief verschneiten Pyrenäen hat er gemacht. Sechs Jahre ist diese Auszeit in Spanien inzwischen her. Auch im vergangenen Winter war der 50-Jährige wieder unterwegs. Es ging nach Teneriffa, wo Jürgen Klug unter anderem Kanu gefahren ist und einen der berühmtesten Tiergärten Europas, den Loro-Park, besucht hat.

Die Liste der Angebote ist lang

Jürgen Klug sitzt im Rollstuhl; Grund ist eine angeborene spinale Muskelatrophie. Bei der Krankheit gehen die Nervenzellen des Rückenmarks, die normalerweise die Signale des Gehirns an die Muskeln weiterleiten, nach und nach zugrunde. Schon als Klug ein Teenager war, versagten seine Beine ihren Dienst. Der Ski, den er in Katalonien gefahren ist, war daher ein Tandemski; das Fahrrad ein Handbike, das per Armkraft angetrieben wird.

Mit seinen Erlebnissen, über die er auch im Internet berichtet, will Klug anderen Menschen Mut machen, die wie er eine neurologische Krankheit haben. So viele Reisen sind möglich, sagt der Vater eines zwölfjährigen Sohnes. Man muss sich nur trauen, zuweilen Hilfe annehmen – und natürlich ein bisschen besser als andere planen.

Es muss ja nicht gleich ein Aktiv- oder Abenteuerurlaub sein. Vielleicht passen ja ein Städtetrip oder eine Wellnessreise besser zu den eigenen Bedürfnissen? Die Liste der Angebote ist inzwischen jedenfalls lang. Selbst betreute Reisen, bei denen einem unterwegs geschulte Ärzte und Pfleger zur Seite stehen, lassen sich bei Spezialanbietern buchen. Natürlich warten vor Ort dann auch die benötigten Hilfsmittel, etwa ein elektrischer Rollstuhl oder ein Pflegebett, auf den Reisenden.

Klar ist: Verreisen tut jedem gut. Eine Auszeit vom Alltag fernab der heimischen Sorgen und Probleme gibt allen Menschen Kraft, auch und vielleicht gerade chronisch erkrankten. Und natürlich deren Partnern, die ihre eigenen Bedürfnisse vermutlich oft genug zurückstellen. Neues zu entdecken, Fremdes zu erleben, ungewohnte Situationen zu meistern – all das stärkt die Sinne, regt den Geist an, gibt Selbstvertrauen und jede Menge Lebensfreude.

Am Anfang einer jeden Reise steht natürlich die Planung. Diese beginnt für all jene, die eine neurologische Krankheit haben, im Idealfall bei einem ausführlichen Gespräch mit dem behandelnden Arzt. Dieser kann seinem Patienten beispielsweise erläutern, welche klimatischen Zonen sich am besten für eine bestimmte Erkrankung eignen.

Extreme Hitze tut nicht jedem gut

Sowohl außergewöhnliche Hitze als auch ungewohnte Kälte können zur Verschlechterung neurologischer Symptome führen, sagt Dr. Lienhard Dieterle vom Neurozentrum Ravensburg. MS-Patienten zum Beispiel kämen mit tropischer Hitze oft schlecht zurecht. Ob entsprechende Reisebeschränkungen erforderlich sind, ist im Einzelfall gemeinsam mit dem Patienten zu klären, sagt Dieterle.

Bei einer geplanten Reise in eine andere Zeitzone sollte mit dem Arzt besprochen werden, inwieweit sich die Zeitverschiebung auf die Erkrankung selbst und auf die Medikamenteneinnahme auswirken kann. Ein Jetlag etwa begünstigt das Auftreten von Migräneattacken und erhöht die Wahrscheinlichkeit eines epileptischen Anfalls. Während des Fluges und in der ersten Zeit danach müssen die Medikamente daher vielleicht zu anderen als zu den gewohnten Zeiten und auch in veränderter Dosis eingenommen werden, sagt der in Neusäß bei Augsburg niedergelassene Neurologe Dr. Robert Pfister.

Der Arzt sollte seinem Patienten auch erklären, welche Impfungen erforderlich sind und inwieweit sich diese mit der neurologischen Erkrankung vertragen. Impfungen gegen Gelbfieber etwa, die in subtropischen und tropischen Gebieten notwendig sein können, eignen sich aufgrund der darin enthaltenen Lebendviren nicht für MS-Patienten, sagt Pfister. Auch können Impfstoffe gegen Gelbfieber und Tollwut die Wirkung von antiepileptischen Medikamenten beeinflussen.

Sollte für die geplante Reise eine Malariaprophylaxe notwendig sein, ist es ratsam, diese ausreichend lange vor dem Abflug zu testen – und bei Problemen abzusetzen. Epileptiker sollten am besten gar nicht in Malariagebiete reisen, da die zur Prophylaxe eingesetzten Medikamente Anfälle auslösen können, rät der Ravensburger Neurologe Dieterle.

Medikamente auch für den Notfall

Wichtig ist zudem, dass der Arzt seinem Patienten die gewohnten Medikamente in so großen Mengen verschreibt, dass sie nicht nur für die geplante Reisezeit reichen, sondern auch ein wenig darüber hinaus. Es kann immer mal passieren, dass ein Flug ausfällt und sich die Rückreise dann um ein, zwei Tage verschiebt, sagt Jürgen Klug, der seit 2008 bei einem Reiseveranstalter für Menschen mit Behinderung arbeitet. Dann steht man ohne seine Medikamente ganz schön dumm da.

Darüber hinaus ist es sinnvoll, Medikamente für den Notfall, etwa Kortisontabletten, vorbeugend einzupacken. Bei kühlpflichtigen Arzneien ist darauf zu achten, dass die Kühlung auch unterwegs und am Urlaubsort sichergestellt ist, sagt Dr. Klaus Tiel-Wilck vom Neurologischen Facharztzentrum Berlin. Zudem empfiehlt es sich auf Flugreisen, die Medikamente im Handgepäck zu transportieren, am besten zusammen mit einer ärztlichen Begründung in deutscher und englischer Sprache. So verhindert man, dass es bei der Einreise Probleme mit dem Zoll gibt.

Manche Patienten mit neurologischen Krankheiten nehmen auch Medikamente ein, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen – wie beispielsweise Opiate oder Cannabis-Präparate, sagt der Neusässer Neurologe Pfister. Für das Mitführen dieser Arzneien ins Ausland seien besondere Bescheinigungen erforderlich, die behördlich gegengezeichnet werden müssten.

Flugreisen optimal planen

Schließlich sollte der Patient vorab klären, ob er den Arzt seines Vertrauens im Notfall telefonisch oder per Mail erreichen kann. Hilfreich ist es auch, bereits zu Hause eine Liste mit Ärzten, Apotheken und Sanitätsgeschäften am Urlaubsort – oder zumindest in dessen Nähe – zu erstellen. Das Internet und der Reiseveranstalter leisten dabei in aller Regel wertvolle Dienste.

Ist eine Flugreise geplant, gilt es zunächst, sich Gedanken über den Transport zum Flughafen und zum Flieger zu machen. Möchte man als Rollstuhlfahrer seinen eigenen Rollstuhl mitzunehmen? Gibt man ihn dann schon am Check-in als Gepäckstück auf oder darf man ihn bis zum Flugzeug mitnehmen? Schafft man das kurze Stück vom Einstieg in den Flieger bis zu seinem Sitzplatz allein oder benötigt man Hilfe? Ganz ähnliche Fragen sind natürlich für den Transport vom Flugzeug bis zur Unterkunft am Urlaubsort zu beantworten.

Beim Thema Rollstuhl sollte man sich auch fragen, ob der eigene Rollstuhl für das Urlaubsland wirklich geeignet ist, sagt Jürgen Klug. Zu Hause mag der per Armkraft angetriebene Rollstuhl ausreichen, in einem bergigen Urlaubsland muss aber vielleicht doch ein elektrischer her.

Bei allen Flugreisen gilt es zudem, die erlaubten Gepäckmengen zu erfragen und zu prüfen, inwieweit diese für die persönlichen Bedürfnisse ausreichen. Gut zu wissen ist in diesem Zusammenhang, dass viele Hilfsgegenstände, Windeln oder Katheter zum Beispiel, als medizinisches Sondergepäck gelten und, wenn sie als solches aufgegeben werden, bei der Gepäckmenge nicht berücksichtigt werden, sagt Klug.

Auch über die geplante Flugstrecke sollte man sich vorab ein paar Gedanken machen. Je länger der Flug dauert, desto wichtiger ist es, dass der gebuchte Sitz ausreichend Beinfreiheit ermöglicht. Die Toiletten in Flugzeugen sind zudem in aller Regel nicht barrierefrei. Rollstuhlfahrer sollten daher entweder Langstreckenflüge vermeiden oder auf Windeln zurückgreifen, empfiehlt Klug. Bei einer Reise in weit entfernte Länder kann es sinnvoll sein, in mehreren Etappen zu reisen, sagt der Ravensburger Neurologe Dieterle. Das macht die Flüge nicht nur angenehmer, sondern der Körper erhält auf diese Weise auch mehr Zeit, sich an die Zeitzone am eigentlichen Urlaubsziel anzupassen. Gerade für Epilepsiepatienten ist das wichtig, aber auch für Menschen mit MS, die ja oft zusätzlich unter Fatigue leiden, sagt Dieterle.

Mit dem Rollstuhl an Bord

War es schon immer Ihr Traum, einmal auf einem Segelschiff zu sein? Zu erleben, wie es das in der Sonne glitzernde Wasser durch­pflügt? Zu spüren, wie die Wellen unter seinem Rumpf hindurch­ziehen und es mal sanft, mal stürmisch von einer Seite auf die andere schaukeln? Zu sehen, wie der Wind die großen, weißen Segel bläht? Vielleicht selbst mit Hand anzulegen beim Steuern oder Bedienen der Leinen? Dann sollten Sie sich diesen Traum unbedingt erfüllen! Das niederländische Unternehmen Sailwise beispiels­weise ( bietet Segeltörns für jedermann an, insbesondere aber für Men­schen mit körperlichen Beeinträch­tigungen und chronischen Krank­heiten. Egal ob Ihnen nach sport­lichem Jollensegeln zumute ist, nach einem mehrtägigen Törn auf einem schnellen Katamaran oder nach einer gemütlichen Reise auf einem großen Zweimastklipper, mit dem Sie in der Weite des frie­sischen Wattenmeeres sogar trockenfallen können – Sailwise macht all das möglich. Die Ang­ebote lassen sich von Einzelpersonen oder auch von Gruppen buchen.

Ruhepausen sind für alle wichtig

Bereits zu Hause sollte man sich zudem Gedanken über die Unterkunft am Urlaubsort machen. Entspricht sie den persönlichen Bedürfnissen? Sind beispielsweise nicht nur das Zimmer selbst, sondern auch Bad und Dusche barrierefrei? Ist das Bett ausreichend groß und, falls erforderlich, verstellbar?

Am Urlaubsort angekommen, ist es wichtig, sich nicht zu überfordern und genügend Ruhezeiten einzuplanen. Es macht keinen Sinn, sich unnötig zu stressen, weil man möglichst viel sehen und erleben möchte. Fast immer ist es viel schöner, sich auf wenige Unternehmungen zu konzentrieren und diese dann mit allen Sinnen zu genießen. Denken Sie immer daran: Sie sind im Urlaub und dürfen sich erholen!

Auszeiten sind nicht nur für den Erkrankten selbst, sondern auch für dessen Partner oder Begleiter wichtig. Vielleicht möchte dieser ja auch mal etwas allein unternehmen? Möglich wird das zum Beispiel, indem man stunden- oder tageweise einen Pflegedienst bucht. Die Kosten für eine solche Verhinderungspflege muss man nicht einmal selbst übernehmen: Sie werden von der Pflegekasse derzeit bis zu einer Höhe von 1.612 Euro übernommen, selbst wenn die Pflege im Ausland erfolgt. Pro Kalenderjahr darf sie für sechs Wochen in Anspruch genommen werden.

Der Körper braucht Flüssigkeit

Gerade in sommerlichen Urlaubsgefilden ist es erforderlich, stets ausreichend zu trinken. Am besten trägt man immer eine Flasche Wasser bei sich. Ansonsten können vor allem Parkinsonpatienten, die zu übermäßigem Schwitzen neigen, leicht austrocknen. Patienten, die Medikamente zur Hemmung der Schweißsekretion einnehmen, sollten besondere Vorsicht walten lassen – damit es nicht zum Hitzestau oder gar zu einem Hitzschlag kommt. Auch andere Arzneien können die Gefahr einer Überhitzung oder einer Austrocknung des Körpers erhöhen. Am besten spricht man über dieses Thema ebenfalls schon im Vorfeld mit dem behandelnden Arzt.

Generell gilt es, sich gerade unterwegs nicht selbst zu überfordern, seine Grenzen zu erkennen und auch zu akzeptieren, betont der Neurologe Dieterle. Befolgt man diesen – vielleicht wichtigsten – Rat, steht einem wunderschönen Urlaub nicht mehr viel im Weg. ab