Polyneuropathien: Schnelle Diagnose ist entscheidend

Die chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie, kurz CIDP, ist eine seltene Erkrankung und nicht immer leicht zu diagnostizieren. Wie sich die Krankheit ankündigen kann und warum eine schnelle Diagnose wichtig ist, berichtet Privatdozent Dr. Min-Suk Yoon vom St. Josef Hospital in Bochum.

Herr Dr. Yoon, welche Symptome können auf eine entzündliche Polyneuropathie wie die CIDP hindeuten?

Bei vielen Betroffenen treten anfangs Empfindungsstörungen auf, etwa Kribbeln oder Taubheitsgefühle in Armen oder Beinen. Diese Symptome können aber auch wieder verschwinden, weshalb sie oft erst einmal nicht ernstgenommen werden. Aber spätestens wenn sie wiederkehren, sollte der Arzt aufgesucht werden. Denn gerade der anfänglich schwankende Verlauf mit spontaner Erholung kann ein Hinweis auf eine CIDP sein. Auch das frühe Auftreten von muskulärer Schwäche oder der asymmetrische Beginn der Beschwerden, etwa mit einem Kribbeln in der linken Hand und im rechtem Bein oder umgekehrt. Und nicht zuletzt ist die rasche Zunahme körperlicher Behinderungen in Verbindung mit einer frühen fortschreitenden Abnahme der Muskelmasse ein deutliches Alarmsignal.

Welche Ursachen haben die Beschwerden?

Ursächlich ist eine Fehlfunktion des Immunsystems, ähnlich wie bei der Multiplen Sklerose. Die fehlgesteuerten Immunzellen greifen die Nerven – genauer deren Schutzhülle aus Myelin – an und schädigen sie. Dadurch können die Nerven Bewegungsimpulse nicht mehr weitergeben, die Körpermuskulatur versagt stellenweise ihren Dienst und es treten Bewegungs- und Gefühlsstörungen auf.

Warum ist bei einer CIDP die schnelle Diagnose so wichtig?

In unserer Klinik haben wir es immer wieder mit Patienten zu tun, bei denen erst mehrere Monate bis Jahre nach Beginn der Beschwerden die Diagnose CIDP gestellt wurde. Bleibt die Erkrankung so lange unbehandelt, kann es durch die Entzündungsreaktion zu nicht rückbildungsfähigen Schäden der Nervenstrukturen kommen. Davon ist dann nicht nur die Myelinscheide der Nerven betroffen, sondern auch das Innere der Nervenfaser, das Axon. Solche Schäden führen zu bleibenden körperlichen Beeinträchtigungen und beeinflussen somit den gesamten Alltag. Wenn die Beine von der Muskelschwäche betroffen sind, benötigt der Patient Hilfsmittel beim Gehen, beispielsweise einen Rollator oder Gehstützen. Bei Symptomen in den Armen und insbesondere in den Händen können die Betroffenen alltägliche Arbeiten kaum noch allein verrichten und sind auf Hilfe angewiesen – sei es beim Essen, bei der Körperpflege oder beim Anziehen. Diese extremen Folgen der Erkrankung lassen sich vermeiden, wenn man rechtzeitig zum Arzt geht.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Bei der Behandlung der CIDP unterscheiden wir zwischen einer Akuttherapie und einer Erhaltungstherapie. Initial kommen Kortison, intravenöse Immunglobuline und eine Blutwäsche, die Plasmapherese, infrage. Sprechen die Patienten auf Kortison oder Immunglobuline gut an, kann die Erhaltungstherapie mit der jeweiligen Substanz weitergeführt werden, abhängig von möglichen Langzeit- oder Nebenwirkungen. Wenn nötig kann man auch zwischen verschiedenen Behandlungsoptionen wechseln. Bei nicht ausreichender Wirksamkeit kann eine Kombinationstherapie oder aber übliche Immunsuppressiva gegeben werden. Eine schnell einsetzende wirksame Therapie ermöglicht heute vielen Patienten ein weitestgehend beschwerdefreies beziehungsweise beschwerdearmes Leben. ag

PD Dr. Min-Suk Yoon
stellvertretender Direktor der Klinik für Neurologie am St. Josef Hospital in Bochum