Psyche: Mensch, ärgere dich nicht!

Ärger und Wut sind Grundemotionen, die bereits Säuglinge kennen. Im Laufe des Lebens ändern sich die Auslöser und der Umgang mit diesen Gefühlen – je nach Erfahrung und Persönlichkeit können sie sehr unterschiedlich sein. Ein Blick von außen hilft, den Nutzen von Wut zu erkennen und besser mit ihr umzugehen.

Der langsame Autofahrer, der den gesamten Verkehr aufhält; der Partner, der schon wieder alles falsch verstanden hat; das Computerprogramm, das einfach nicht macht, was es soll: Der Alltag bietet unzählige Situationen, die Ärger und Wut hervorrufen können. Manche Auslöser erscheinen im Nachhinein zwar unerheblich – doch Ärger und Wut haben eine Funktion.

Hinter diesen starken Emotionen verbirgt sich meist ein Gefühl der Bedrohung oder der Hilflosigkeit, sagt Britt Bürgel, Diplompsychologin und Heilpraktikerin aus Köln. Das Gefühl, dass man keinen Einfluss nehmen kann, angegriffen oder mit seinen Bedürfnissen nicht gesehen wird, ist in der Menschheitsgeschichte genau so alt wie die Wut selbst – und stand früher in direktem Zusammenhang mit ihr. Denn wenn beispielsweise ein Raubtier auftauchte oder Feinde sich den mühsam angelegten Essensvorrat aneignen wollten, war die Bedrohung für das eigene Leben sehr real. Neben den beiden Reaktionsmöglichkeiten Flucht oder Schockstarre blieb als drittes der Angriff, der eine aggressive Energie voraussetzt. Genau diese wird mit dem Gefühl von Ärger und Wut zur Verfügung gestellt.

Bereit zur Aktion

Wut lässt sich am eigenen Leib spüren: Die Muskelspannung erhöht sich, das Herz schlägt schneller, unser Körper versetzt uns ins Handlungsbereitschaft, erklärt Britt Bürgel. Aus diesem Grund gehe starke Wut manchmal mit dem Impuls einher, etwas zerstören oder jemanden angreifen zu wollen. Was in lebensbedrohlichen Situationen seine Berechtigung habe, sei in den meisten Fällen, in denen wir heute Wut empfinden, aber nicht angemessen und zielführend. Deshalb würden Ärger und Wut oft als nicht gesellschaftsfähige Gefühle bewertet, die es zu vermeiden gelte. Aber es ist ratsam, diese Emotionen wahrzunehmen und sich zu fragen, was dahinter steht, sagt Britt Bürgel.

Im ersten Schritt ist es wichtig, die Wut zu identifizieren – etwa, indem man die eigene Körperspannung wahrnimmt. Wenn man nicht in Kontakt mit seiner Wut kommt, steigt diese Spannung weiter an, sodass man im schlimmsten Fall unter permanenter Anspannung leidet, die krank machenkann, sagt die Kölner Psychologin. Nehme man die Wut aber an die Hand, lasse sie also zu und beschäftige sich mit ihr, begegne man sich selbst wohlwollend. Dabei könne es helfen, sich einen Satz zurechtzulegen wie zum Beispiel: Ich darf wütend sein oder Ich will gesehen werden. Im nächsten Schritt solle man sich – bei starker Ausprägung der Wut auch mit psychologischer Hilfe – fragen, auf welche empfundene Bedrohung oder unerfüllten Bedürfnisse der Ärger hinweist. Oft ist Wut eng mit Traurigkeit verbunden, sagt Britt Bürgel. Dieser müsse man sich dann zuwenden.

Der Wut auf den Grund gehen

Eine ihrer Patientinnen sei beispielsweise wegen häufiger Streitigkeiten in der Partnerschaft zu ihr gekommen.Während dieser Auseinandersetzungen habe sie Wut in Form von Vorwürfen und Kritik ausgelebt. Zudem machten sie zahlreiche Alltagssituationen wütend – selbst wenn es dabei nur um einen fehlenden Parkplatz ging. Zu ihren eigenen Gefühlen hingegen habe die Patientin keinen Zugang gehabt – etwa zu ihrer Traurigkeit oder ihrem Bedürfnis nach Anerkennung. Dies lerne sie erst jetzt in kleinen Schritten. Sie nimmt nach und nach Kontakt zu ihrer Wut auf, begegnet ihr neugierig und stellt die Frage: Was will sie mir sagen?, berichtet Britt Bürgel.

Gefühle aus der Kindheit

Welche Situation einen Menschen in Rage bringt und wie er dann reagiert, hängt von seiner individuellen Geschichte sowie von seinem Temperament ab. Manche Menschen empfinden generell stärker und werden auch schneller wütend als andere, sagt Britt Bürgel. Die Gene spielen hierbei eine Rolle, noch wichtiger ist aber die Sozialisation: Wie war die Umgebung und Erziehung in der Kindheit, hatten Gefühle einen Platz oder nicht? Wer das eigene Befinden bekämpfen oder verleugnen musste, ist später eher unausgeglichen und leichter in Rage zu bringen – so wie es auch bei besagter Patientin war. Mangelnder Schlaf, Stress oder Hunger begünstigen die Häufigkeit und Stärke dieser Gefühle.

Kleiner Ärger, große Wut

Wut habe einen kurvenförmigen Verlauf, sagt Britt Bürgel. Ihr gehe immer zunächst Ärger voraus, doch nicht immer müsse aus Ärger auch Wut werden. Beides sind zwei Facetten derselben Grundemotion: Ärger ist kleiner und schwächer, Wut ist energiereicher und stärker. Wenn man daran arbeiten wolle, Wut seltener oder weniger stark zu empfinden, sei es wichtig, den Moment wahrzunehmen, in dem aus Ärger Wut wird und bewusst dagegen anzusteuern. So könne man beispielsweise in fast jeder Situation sagen: Ich muss mal kurz rausgehen. Dann sei es etwa hilfreich, tief Luft zu holen, auf die Toilette zu gehen, sich kaltes Wasser auf die Handgelenke laufen zu lassen oder in den Spiegel zu schauen und sein Gesicht wahrzunehmen. Anschließend sollte man sich dann seinen eigentlichen Gefühlen zuwenden oder aber dies bewusst vertagen, um in die vorangegangene Situation zurückzukehren.

Ist die Wut aber erst einmal da, hilft es oft nur noch, ihr in einer angemessenen Form Ausdruck zu verleihen. Auch hier sei es hilfreich, die Situation zu verlassen, sagt die Kölner Psychologin. Häufig empfehle sich Bewegung, etwa ein kleiner Spaziergang. Eine meiner Patientinnen kam auf die großartige Idee, in solchen Momenten Stöcke oder Äste zu zerbrechen. Diese nannte sie dann ›Wutstöcke‹. Ihre Kinder haben diese Angewohnheit übernommen. Die Methode ist gut, denn Spannung braucht Entladung – allerdings an der richtigen Stelle, sagt die Expertin.

Klare Grenzen setzen

Wer sich dagegen der Stimmung eines wütenden Menschen ausgeliefert fühlt, sollte deutliche Grenzen ziehen und ihm gleichzeitig signalisieren, ihn wahrzunehmen. Etwa mit den Worten: Ich sehe deine Wut und Unzufriedenheit, aber ich lasse mich nicht anfeinden, sagt Britt Bürgel. Man könne auch, nach entsprechender Ankündigung, den Raum verlassen.

Ein Ignorieren der Wut sei hingegen nicht günstig – weder bei sich selbst noch bei anderen. Denn auf diese Weise ignoriere man auch die dahinter liegenden Bedürfnisse. Besser sei es, die Wut ernst zu nehmen, ohne sie überzubewerten, sagt Britt Bürgel: Dabei hilft es zum Beispiel, sich zu sagen: Ich bin gerade sehr wütend und brauche Abstand. Aber das Gefühl, das mich beschäftigt, wird später seinen Platz haben – ich werde mich darum kümmern! nk