chronisch krank: Seine allergrößte Tour

Vor drei Jahren erhielt Bruno Schmidt die Diagnose ALS. Zwei Wochen lang verkroch er sich zu Hause. Dann beschloss er, noch einmal aufzubrechen: Im August 2015 radelte Schmidt trotz bereits schwächelnder Muskeln 850 Kilometer kreuz und quer durch Deutschland. Er besuchte Menschen, die wie er erkrankt waren.

Es war im Sommer 2014, als die Leute sich reihenweise Kübel voller Eiswasser über den Kopf schütteten und sich dabei filmen ließen. Das etwas merkwürdige Gebaren, bekannt geworden als Ice Bucket Challenge, diente einem guten Zweck: Es sollte auf die unheilbare Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, aufmerksam machen.

Dem damals 49-jährigen Bruno Schmidt verpasste die Aktion noch eine eiskalte Dusche ganz anderer Art: Als ich im Rahmen dieser Challenge zum ersten Mal etwas über die Anzeichen der Krankheit erfuhr, dachte ich sofort: Verdammt, das sind ja meine Symptome, erzählt er. Ein Jahr zuvor hatten Schmidts Muskeln im Oberarm plötzlich angefangen, unkontrolliert zu zucken. Nur wenige Monate später zitterte und vibrierte manchmal sein ganzer Körper. Zugleich spürte der begeisterte Rennradfahrer, wie die Kraft in seinen Armen nachließ.

Schmidts zweiter Gedanke damals war trotzdem: Ach Quatsch, die Krankheit ist so selten, sie wird nicht ausgerechnet mich treffen! Doch kurz vor Weihnachten, am 19. Dezember 2014, bestätigte ein Neurologe die düstere Ahnung. Danach haben meine Frau, meine Tochter und ich erst mal zwei Wochen lang geweint, sagt Schmidt. Und ich habe mir alle möglichen Szenarien ausgemalt, wie ich mich am besten umbringen kann.

Doch diese Phase währte nicht lange. Den Kopf in den Sand zu stecken, kam für mich dann doch nicht in Frage, sagt er. Und so heckte der lebenslustige Rheinländer, der in einem kleinen Dorf namens Gereonsweiler im Landkreis Düren zu Hause ist, einen kühnen Plan aus. Er wollte noch einmal mit dem Rennrad quer durch Deutschland fahren. Aber diesmal nicht nur zum Spaß: Über Facebook machte Schmidt sich auf die Suche nach anderen ALS-Patienten, um sie auf seiner Tour zu treffen. Arbeitskollegen wollten ihn begleiten und die Begegnungen filmen. Schnell erhielt das Projekt einen Namen: ALS – Alle Lieben Schmidt.

Neun Tage quer durch Deutschland

ALS-Patienten haben in Deutschland kaum eine Lobby, sagt Schmidt. Dabei leben hierzulande immerhin rund 8.000 Menschen mit der Krankheit, bei der nach und nach alle Muskeln des Körpers zugrunde gehen. 95 Prozent der Betroffenen sterben innerhalb von fünf Jahren nach der Diagnose. Bruno Schmidt entschied sich zu kämpfen: Wenn ich schon für mich nichts mehr erreichen kann, dann wenigstens für alle, die nach mir erkranken, sagt er.

Auf Facebook wurde auch der Filmregisseur Lars Pape, dessen Mutter an ALS gestorben war, auf Schmidts ungewöhnlichen Plan aufmerksam. Er schrieb ihn an, die beiden trafen sich und beschlossen, über das Projekt einen professionellen Film zu drehen. Im August 2015 war es soweit: Bruno Schmidt brach zu einer neuntägigen Tour auf, während der er insgesamt zwölf ALS-Patienten und deren Familien besuchte. Manchmal war es hart, erinnert er sich, sowohl das Radfahren als auch die immer wiederkehrende Konfrontation mit dem eigenen drohenden Schicksal. Sechs dieser zwölf Menschen seien inzwischen gestorben, sagt Schmidt.

Und dennoch sind ihm von dieser Reise bis heute einige enge Freunde geblieben – und aus der Lebensfreude, welche die meisten Patienten trotz ihrer Krankheit ausstrahlen, zieht auch er viel Kraft. Zumindest mental, denn die Kraft in seinen Armen verlässt ihn immer mehr. Doch selbst davon lässt Schmidt sich nicht wirklich beirren. Zähneputzen, Waschen und Anziehen kann er zwar nicht mehr allein, aber Radfahren geht immer noch. Vergangenes Frühjahr hat er sich ein Liegerad zugelegt, mit dem er zumindest in der warmen Jahreszeit täglich unterwegs ist. Ich habe beschlossen, es meiner Krankheit so schwer wie möglich zu machen, sagt er.

Sein nächstes Ziel: ein neues Haus

Träume und Pläne hat Bruno Schmidt noch viele. Sein großes Ziel sei es, im Jahr 2025 seinen 60. Geburtstag zu feiern. Ich habe meinen Eltern versprochen, nicht vor ihnen zu sterben, sagt er. Und ich möchte meine Enkelkinder kennenlernen. Bis es so weit ist, wollen er und seine Frau erst einmal ihr altes Haus verkaufen und sich ein neues bauen.

Ich brauche solche Projekte, die mich nach vorne schauen lassen, sagt Schmidt, der seit gut einem Jahr als arbeitsunfähig gilt. Würde ich nur Trübsal blasen, ginge es mir mit Sicherheit auch körperlich schlechter.

Natürlich soll auch seine Arbeit für den im Jahr 2016 gegründeten Selbsthilfeverein weitergehen, mit dem Schmidt andere ALS-Patienten unterstützt. Und dann hat er noch einen gar nicht so furchtbar großen Wunsch: Meinen Film eines Tages im Fernsehen schauen zu können, das wäre toll.

Angst vor der Zukunft hat Bruno Schmidt nur selten. Vieles wird anders, aber bestimmt nicht alles schlechter, sagt er. Und hätte ich ohne meine Krankheit je so intensiv gelebt? ab