Schlaganfall: Die Aromen ihres Lebens

Nach einem Schlaganfall hat Susann Till sich im Alter von 69 Jahren selbstständig gemacht. Seither stellt sie Chutneys her – jene pikant-würzigen Fruchtmuse, die man vor allem aus Asien kennt.

Aus der winzigen, weiß gestrichenen Küche weht ein intensiver Duft reifer Quitten. Untermalt wird er von einem feinen Gemisch der Aromen von Zwiebel, Birne, Kürbis, Papaya und säuerlicher Berberitze. Drinnen am Herd steht vor zwei wuchtigen Edelstahltöpfen Susann Till, 74, und kocht. Heute ist ein süß-scharfes Quitten-Chutney an der Reihe, ihr derzeitiger Favorit unter den 15 Chutney-Sorten, die sie inzwischen im Programm hat – und erfolgreich in rund 200 Läden rund um Hamburg und Berlin sowie übers Internet verkauft.

Fünf Jahre ist es mittlerweile her, dass sich Susann Till, die einst als Modedesignerin gearbeitet hat, in ihrem Einfamilienhaus in Stade, rund 50 Kilometer westlich von Hamburg, selbstständig gemacht hat. Ich musste damals unbedingt etwas tun, erzählt sie. Und einer meiner beiden Söhne sagte zu mir: Mama, du kochst doch so gut, mach etwas daraus!

Alles nur noch mit links gemacht

Damals – das war eine Zeit, über die Susann Till eigentlich nicht gerne spricht. Sie hatte nach einem schweren Bandscheibenvorfall und einem Sturz, bei dem drei Wirbel brachen, bereits mehrere komplizierte Rücken-OPs hinter sich, als sie 2008 einen Schlaganfall erlitt und anschließend zehn Tage lang im Koma lag. Als sie wieder erwachte, konnte sie ihre linke Hand kaum noch bewegen. Zudem hatte sie stark an Gewicht verloren.

Bei der anschließenden dreimonatigen Reha in St. Peter Ording mussten sie mich erst mal wieder aufpäppeln, erinnert sich Susann Till und lacht. Danach hieß es für sie üben, üben, üben – um die Kraft und die Koordination im linken Arm und in der Hand wiederzuerlangen. Ich habe im wahrsten Sinne des Wortes alles nur noch mit links gemacht, sagt sie, die Haustür aufgeschlossen, mein Glas gehalten, mir die Zähne geputzt. Manchmal habe das schon eine Menge Disziplin erfordert, doch ihre Bemühungen hätten Früchte getragen.

Mit hundert Gläsern fing es an

Noch im gleichen Jahr allerdings zog sich Susann Till an genau dieser Hand bei der Gartenarbeit eine Verletzung zu, die eine Blutvergiftung und erneut einen mehrmonatigen Aufenthalt in der Reha nach sich zog. Die Ärzte rieten der inzwischen 66-jährigen Witwe, sich nun endgültig nach einem guten Pflegeheim umzusehen.

Doch da hatten sie die Rechnung ohne Susann Till gemacht. Denen werde ich es zeigen, dachte sie. Zu Hause beriet sie sich mit ihren Söhnen und schnell stand ihr Entschluss fest, eine eigene Chutney-Serie zu kreieren. Was es bis dahin zu kaufen gab, fand ich entweder zu süß oder zu sauer, erzählt sie. Ich sagte mir: Das bekommst du besser hin. Mit hundert Gläsern und ganz ohne Geld habe sie angefangen.

Rund tausend Gläser à 150 Gramm produziert Susann Till inzwischen pro Woche. Beim Schnippeln von Obst, Gemüse und Kräutern – für sie, wie sie sagt, die beste Form der Physiotherapie – helfen ihr zwei Mitarbeiterinnen. Das Kochen und Besorgen der hochwertigen Zutaten aber übernimmt die Chefin selbst.

Das Leben findet draußen statt

Längst gibt sich Susann Till nicht mehr nur mit Chutneys zufrieden. Ihre Kollektion umfasst inzwischen auch Öle, italienisches Mandelgebäck und Pralinen mit Chutney-Füllung. Sogar ein Kochbuch hat sie dieses Jahr herausgegeben. Ein zweites, das sich an Jugendliche richtet, ist in Arbeit. Jeder Mensch sollte kochen lernen, sagt sie. Es ist das beste Mittel gegen Trübsal.

Was sie sonst noch für ihr Glück braucht? Ich liebe es, mich schick zu machen und unter Menschen zu gehen, sagt sie. Das Leben findet schließlich nicht in meinem Haus, sondern in erster Linie draußen statt. Ein paar Jahre will Susann Till mit ihrer Chutney-Produktion noch weitermachen. Doch spätestens wenn sie 80 ist, hat sie noch ein paar andere Dinge vor.

Dann möchte ich mit meinen Enkelkindern reisen, sagt sie. Zu den Eisbergen, so lange es noch welche gibt, zum Vesuv, wenn er gerade spuckt, und nach Patagonien. Denn eines ist für Susann Till ganz klar: Wenn man keine Träume mehr hat, ist man doch eigentlich schon tot. ab