chronisch krank: Träume werden wahr

Die Psychologie-Professorin Gabriele Oettingen hat ein Vier-Punkte-Programm entwickelt, mit dem sich persönliche Ziele viel besser erreichen lassen als mit Optimismus allein.

Frau Professor Oettingen, Sie haben erforscht, wie es Menschen gelingt, ihre Träume zu verwirklichen – und sind zu dem erstaunlichen Ergebnis gekommen, dass positives Denken eher hinderlich ist.

Natürlich hat das positive Denken auch seine guten Seiten. Wer sich seine Zukunft in rosigen Farben ausmalt, bekommt zum Beispiel bessere Laune. Wenn es aber an die Verwirklichung von Träumen geht, reichen solche positiven Zukunftsszenarien nicht aus. Im Gegenteil: Sie nehmen den Menschen die Energie, die sie für die Umsetzung ihrer Pläne benötigen.

Warum das?

Studien haben gezeigt, dass positive Zukunftsphantasien entspannen. Das lässt sich sogar körperlich messen. Gleichzeitig haben wir beobachtet, dass all jene, die sich ihre Zukunft besonders rosig ausmalen, im echten Leben viel weniger erreichen als andere. Verwunderlich ist das nicht: Diese Menschen haben all das Schöne ja auf gewisse Weise schon erlebt – wofür sollten sie sich noch groß anstrengen?

Was also ist stattdessen zu tun?

Man darf es nicht beim Träumen belassen. Mindestens genau so wichtig ist es, sich klar zu machen, was einen von der Verwirklichung der Träume abhält. Auch diese Hindernisse sollte man ganz intensiv gedanklich durchspielen. Wir nennen das mentales Kontrastieren – und das darf schon mal richtig weh tun. Denn so erhalten wir die Energie, um unsere Ziele anzugehen.

Ist es manchmal nicht auch hinderlich, sich alle nur denkbaren Steine im Weg auszumalen?

Doch, und das ist auch nicht gemeint. Es geht darum, die Hindernisse aufzuspüren, die in einem selbst stecken: bestimmte Ängste vielleicht, mangelndes Vertrauen in sich selbst oder andere, Ärger – die Möglichkeiten sind vielfältig. Natürlich gibt es auch Hindernisse von außen: eine Krankheit zum Beispiel, wenig Zeit oder ein Partner, der mit den Plänen nicht einverstanden ist. Entscheidend ist aber trotzdem immer, wie man mit diesen Hindernissen umgeht.

Was empfehlen sie Patienten, die trotz einer fortschreitenden neurologischen Erkrankung noch viele Pläne und Träume haben?

Auch sie sollten herausfinden, welche Wünsche wirklich wichtig sind und was genau sie von der Verwirklichung abhält: Ist es tatsächlich die Krankheit oder doch etwas ganz anderes?

Inwieweit müssen Patienten ihre Träume zuweilen schlicht den äußerlichen Umständen anpassen?

Auch dabei unterstützt das mentale Kontrastieren: Es hilft, die machbaren Träume zu realisieren – und alle anderen auszusortieren. Gemeinsam mit Kollegen habe ich eine sehr hilfreiche Strategie entwickelt, die wir WOOP nennen. Der Name steht für vier Schritte: Wish, Outcome, Obstacle, Plan – Wunsch, Ergebnis, Hindernis, Plan. Zuerst überlegt man, welcher Wunsch einem gerade wichtig ist, und malt sich das entsprechende Ergebnis möglichst rosig und detailreich aus. Dann denkt man darüber nach, welches innere Hindernis einen von der Wunscherfüllung abhält. Und zum Schluss entwickelt man einen Plan, wie sich das Hindernis überwinden lässt.

Und wenn einem gerade bei dem letzten Schritt nur wenig einfällt?

Wer einen machbaren Wunsch identifiziert hat, findet in der Regel einen Weg, um das innere Hindernis zu überwinden. Sollte dieses doch einmal zu groß sein, hilft WOOP, den Wunsch anzupassen. Man stellt dann vielleicht fest, dass die Reise nach Australien zwar nicht mehr machbar ist – dass eine Fahrt nach München mit der ganzen Familie aber genau so schön ist. ab

Prof. Dr. Gabriele Oettingen
Professorin für Psychologie an der New York University und der Universität Hamburg. Sie hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt ist von ihr die Die Psychologie des Gelingens erschienen (Taschenbuch, 272 Seiten, Droemer, 10,99 €).