Multiple Sklerose: Im Hier und Jetzt leben

Ein Leben mit Kindern ist bereichernd, turbulent und herausfordernd – das gilt umso mehr für Mütter mit MS. Julia Hubinger und Anja Ebert haben uns von ihrer Entscheidung für Kinder und ihrem Familienalltag erzählt.

Mit Kribbeln und Taubheitsgefühlen fing es an – Julia Hubinger war 30 Jahre alt, als sie die Diagnose MS bekam. Als sie und ihr Mann gerade begannen, die Nachricht zu verarbeiten, sprach der Arzt schon die Familienplanung an: Er empfehle dringend, Medikamente gegen die MS zu nehmen – aber nur, wenn sie nicht schwanger werden wolle. Wir wollten gerne Kinder bekommen, aber eigentlich erst später, sagt Julia Hubinger. Wir haben uns dann nur kurz angeschaut, und ich habe gesagt: Okay, dann bekommen wir jetzt erst mal ein Kind. Das klappte schneller als erwartet: Schon drei Wochen später hielt sie einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Ich hatte gar keine Zeit, an der Entscheidung zu zweifeln oder mir viele Gedanken über die MS zu machen, erzählt sie.

Während der Schwangerschaft ging es Julia Hubinger sehr gut. Die Taubheitsgefühle waren verschwunden, auch nach der Geburt und während des Stillens kamen keine neuen Schübe. Sie wurde schnell zum zweiten Mal schwanger und blieb wieder beschwerdefrei. Meine zweite Tochter habe ich fast ein Jahr lang voll gestillt, das hatte sehr positive Auswirkungen auf den MS-Verlauf, erzählt sie: Beim Kontroll-MRT waren die Läsionen sogar zurückgegangen.

Schwangerschaft das beste Heilmittel

Mein Arzt scherzte: Ich glaube, Sie sollten dauerschwanger sein. Ein Jahr später wurde die MS allerdings sehr aktiv, sodass Julia Hubinger schließlich begann, Medikamente gegen die Krankheit zu nehmen. Doch zwei Jahre danach reifte in ihr der Wunsch nach einem dritten Kind – sie setzte die Medikamente ab und wurde gleich wieder schwanger. Da hat die Neurologin zu mir gesagt: Sie sind ein medizinisches Wunder, normalerweise dauert das sehr lange, erzählt Julia Hubinger und lacht. Ihr Sohn ist im Dezember ein Jahr alt geworden.

Ihr Leben als Mutter von drei Kindern ist turbulent, aber die MS schränkt sie bislang selten ein. Ihre Töchter wissen, dass ihre Mama manchmal ein Kribbeln hat und nicht ganz gesund ist.

Gelassenheit im Familienalltag

Mein Mann sagt immer: Lass uns im Hier und Jetzt leben und uns nicht sorgen. Beide gehen so gelassen wie möglich mit den Alltagsherausforderungen um: Wir schaffen uns immer wieder kleine Ruheinseln, zum Beispiel mit gemeinsamen Familien-Mittagsschläfchen oder bewussten Entspannungs-Sonntagen im Schlafanzug. Im Zweifelsfall stecke der Haushalt zurück. Es ist wichtiger, dass wir Ruhe finden, als dass es zu Hause toll aussieht, sagt Julia Hubinger. Ich bin glücklich mit meiner Familie und würde mich jedes Mal wieder für sie entscheiden.

Zwei Jahre lang wusste Anja Ebert nicht, woher ihre tauben Hände, die Schwierigkeiten beim Anheben der Füße und die Blasenschwäche kamen – bis sie mit 21 Jahren erfuhr, dass sie MS hat. Ich war froh, dass meine Beschwerden endlich einen Namen bekamen, nachdem ich eine lange Zeit als Simulantin abgestempelt worden war, sagt die heute 33-Jährige. Die Diagnose änderte auch nichts an ihren Lebensplänen. Ich habe immer gesagt: Bevor ich 30 bin, werde ich heiraten und ein Kind haben. Und genau so war es, sagt Anja Ebert. Bis sie schwanger wurde, nahm sie jahrelang Interferone zur Behandlung der MS; dann setzte sie die Medikamente sofort ab. Die Schwangerschaft war wunderschön, ich habe mich so wohl gefühlt wie nie zuvor, erzählt die Mutter des inzwischen fünfjährigen Maximilian und fügt mit einem Lächeln hinzu: Wenn ich könnte, wäre ich mein ganzes Leben lang schwanger – nur ohne dicken Bauch.

Auch die Geburt verlief ohne Komplikationen – und ungewöhnlich schnell. Ich habe keine Wehe bemerkt und mein Mann hat es nicht mehr rechtzeitig in den Kreissaal geschafft, erzählt sie. Mir ging es richtig gut – aber drei Wochen später war es damit vorbei. Ihr Mann war gerade wieder arbeiten gegangen und auf Montage, da erlebte Anja Ebert einen heftigen MS-Schub.

Einbruch nach der Geburt

Ich bin morgens aufgewacht und konnte nicht mehr aufstehen. Ich war auf der linken Seite fast vollständig gelähmt und konnte nur noch lallen. Sie kroch auf allen vieren ins Wohnzimmer, erreichte gerade noch ihr Handy und rief ihre Eltern an, die sofort kamen. Anja Ebert musste für sieben Tage ins Krankenhaus, wo sie mit Kortison behandelt wurde. Danach kümmerte sich ihre Mutter um sie und Maximilian. Nach vier Monaten ging es ihr etwas besser: Ihr Gleichgewichtsgefühl hatte sich weitgehend normalisiert und sie konnte wieder normal sprechen. Aber einigermaßen erholt hatte ich mich erst nach acht Monaten, sagt Anja Ebert. Man entwickelt Bärenkräfte und die braucht man auch, damit alles klappt. Sie stillte ihr Kind ein halbes Jahr lang, anschließend durfte sie ihre von früher gewohnten Medikamente wieder einnehmen.

Weitere MS-Schübe ließen sich dadurch aber nicht verhindern. Hinzu kommen Bandscheibenvorfälle der Halswirbelsäule und eine Arthrose in der Hüfte.

Ein Rollstuhl namens Helmut

Weil ihr das Laufen immer schwerer fiel, hat sie seit diesem Jahr einen Rollstuhl. Damit gehe ich ganz locker um. Ich möchte Maximilian zeigen, dass das nichts Schlimmes ist. Wir haben dem Rollstuhl auch gemeinsam einen Namen gegeben: Er heißt Helmut. Maximilian freut sich, dass er mitfahren darf, wenn er mal nicht mehr zu Fuß gehen mag. Anja Ebert hat ihm erklärt, dass sie krank ist und deshalb nicht mehr gut laufen kann und manchmal sehr müde ist. Deshalb möchte er, wenn nicht Baggerfahrer, dann vielleicht Arzt werden, um ein Medikament zu erfinden, das seiner Mama hilft.

Im Alltag macht sich die MS am ehesten bei der Haushaltsarbeit bemerkbar – oder wenn Anja Ebert mit ihrem Sohn nicht mehr alles machen kann, zum Beispiel auf dem Spielplatz. Aber ich habe gelernt, um Hilfe zu fragen. Wenn mein Sohn aufs Klettergerüst will und ich ihm nicht helfen kann, gehe ich auf andere Menschen zu und bitte sie, ihm zu helfen. Das klappt gut. Auf weitere Kinder will Anja Ebert aufgrund ihrer Einschränkungen aber verzichten: Alles ist gut so, wie es ist. Ich empfinde mein Leben als sehr lebenswert und möchte kein anderes haben. nk

Julia Hubinger
berichtet auf ihrem Blog über ihren Alltag als Mutter mit MS.