chronisch krank: Dem Gegner in die Augen schauen

Menschen mit einer chronischen Erkrankung kämpfen im Beruf oft an mehreren Fronten gleichzeitig. Wie sich die meisten Situationen mit relativ einfachen Mitteln entspannen lassen, erläutert die NTC-Psychiaterin Dr. Anna Sibylla Peikert.

Eigentlich sind es immer zwei Feinde, die denen von Zeit zu Zeit auflauern, die sich nicht mehr ganz so leistungsfähig fühlen wie einst. Einst, das war vor der Diagnose. Und jetzt? Menschen, die an einem chronischen Leiden erkrankt sind, kämpfen gerade im Beruf meistens sowohl mit einem inneren als auch mit einem äußeren Gegner, sagt Dr. Anna Sibylla Peikert vom Neurologicum Bremen.

Mächtiger ist oft der innere Feind. Scham und die Angst vor dem eigenen Unvermögen führen oft zu einem mangelnden Selbstwertgefühl. Und das wird leicht in die Außenwelt projiziert. Die Folge: Man erlebt Ablehnung und Ausgrenzung auch dort, wo beides gar nicht vorhanden ist.

Symptome offen ansprechen

Es ist daher unerlässlich, sich gerade dem inneren Gegner zu stellen, sagt Peikert. Man muss versuchen zu akzeptieren, dass vielleicht nicht mehr alles geht, was früher einmal möglich war. Doch wer sein Bestes gebe, der dürfe damit auch zufrieden sein, betont die Psychiaterin.

Wichtig sei es, sich klarzumachen, dass sichtbare Symptome bei anderen in jedem Fall Reaktionen hervorrufen. Besser ist es daher, die möglichen Symptome offen anzusprechen, die daraus resultierenden Probleme zu benennen und Lösungsvorschläge zu machen, sagt Peikert.

So müsse beispielsweise ein Parkinson-Patient weniger Angst davor haben, aufgrund seines Tremors mal eine Tasse Kaffee zu verschütten, wenn er seine Kollegen auf diese Möglichkeit hingewiesen habe – und wenn die anderen wissen, wie hilfreich es ist, wenn man selbst oder jemand in der Nähe das Getränk dann einfach ohne große Worte aufwischt. Auch ein MS-Patient, der nur langsam zu Fuß unterwegs ist, ist gut beraten, das Thema offen anzusprechen.

Am klügsten ist es immer, die Kollegen ins Boot zu holen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wie man mit den Unzulänglichkeiten, die aus der Krankheit resultieren, am sinnvollsten umgeht, sagt Peikert. Natürlich sei das nicht immer leicht und in besonders schwierigen Situationen sei es für die Betroffenen auch durchaus ratsam, sich bei einem professionellen Coach oder Psychotherapeuten ein paar Tipps zu holen.

Der größte Gegner ist meistens die Angst und die führt oft zum Schweigen, wo Reden viel eher angebracht wäre, sagt Peikert. Nur wenn wirklich keine Symptome der Erkrankung offen sichtbar seien, könne es sinnvoll sein, nicht darüber zu sprechen. Ansonsten empfehle sie, die Karten offen auf den Tisch zu legen und dabei auch und gerade über die eigenen Ängste zu sprechen.

Hilfe bei Kollegen suchen

Was aber, wenn jemandem von einem oder mehreren Kollegen wirklich offene Ablehnung entgegenschlägt – es sich also tatsächlich um einen äußeren Gegner handelt? Auch in diesem Fall rät Peikert zunächst zu einem persönlichen Gespräch. Wenn das nicht fruchte, sei es ratsam, sich Hilfe zu holen, am besten in Gestalt einer vertrauten Person aus dem gleichen Team oder der gleichen Abteilung. Den offiziellen Weg über den Betriebsrat würde ich erst als letzte Option wählen, sagt die Psychiaterin.

Dass es die Kollegen zuweilen verärgert, wenn jemand nicht mehr so leistungsfähig wie früher ist, empfindet Peikert als sehr menschlich – vor allem wenn die neue Situation für die anderen Mehrarbeit bedeutet. Umso wichtiger sei es, Hilfe und Solidarität nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern sich ab und zu mit Worten und Taten dafür zu bedanken: Vielleicht freuen sich die hilfsbereiten Kollegen ja über eine kleine Aufmerksamkeit. ab