Schmerz: Chronische Schmerzen können Demenzrisiko erhöhen

Bei älteren Menschen mit chronischen Schmerzen lässt die Gedächtnisleistung schneller nach als bei Altersgenossen ohne Schmerzen, das zeigt eine aktuelle Studie.

Wissenschaftler der University of California, San Francisco, haben in einer Studie mit mehr als 10.000 Teilnehmern die Auswirkungen von langanhaltenden Schmerzen auf die Gedächtnisleistung und das Demenzrisiko untersucht. Die US-amerikanische Anästhesistin Elizabeth L. Whitlock und ihre Kollegen verglichen, wie sich die Gedächtnisfunktion bei Menschen im Alter von mindestens 60 Jahren mit chronischen Schmerzen entwickelte. Die Ergebnisse, die im Fachmagazin JAMA Internal Medicine veröffentlicht wurden, zeigen, dass der Gedächtnisabbau der Schmerzpatienten um 9,2 Prozent schneller voranschritt als bei der Kontrollgruppe ohne Schmerzen. Die Forscher errechneten, dass für Ältere mit langanhaltenden Schmerzen ein um 2,2 Prozentpunkte erhöhtes Risiko besteht, an Demenz zu erkranken, als für ihre Altersgenossen.

Schmerz bindet Aufmerksamkeit

Diese Untersuchung ist der erste systematische Hinweis darauf, dass das Demenzrisiko bei Schmerzpatienten tatsächlich leichtgradig erhöht sein könnte, kommentiert Ulrike Bingel, Schmerzexpertin und Neurologie-Professorin an der Universität Dortmund-Essen, die Studie. Sie passe sehr gut zu ihren eigenen Forschungsergebnissen: Dabei konnten wir mithilfe von bildgebenden Verfahren zeigen, dass Schmerzen die kognitiven Fähigkeiten deutlich beeinträchtigen können, sagt die Neurologin. Schmerz ziehe Aufmerksamkeit auf sich, denn er habe ursprünglich eine Warnfunktion und weise auf gefährliche oder lebensbedrohliche Situationen hin. So werde sich beispielsweise jemand, der von einer Biene gestochen wird und gerade noch ein Kreuzworträtsel gelöst hat, sofort auf die Behandlung des Stichs konzentrieren und das Rätsel vernachlässigen. Bingels Untersuchungsergebnisse zeigen, dass leider auch chronische Schmerzen – die nicht vor akuten Gefahren warnen – zu Aufmerksamkeitseinbußen führen können. Viele Patienten mit chronischen Schmerzen haben beispielsweise Schwierigkeiten, sich an bestimmte Dinge zu erinnern oder komplexe Texte zu lesen, berichtet Bingel.

Aktivität hilft

Bislang ungeklärt sind allerdings die Gründe für das erhöhte Demenzrisiko, das die Studie des Forscherteams um Elizabeth L. Whitlock aufzeigt. Hier wäre beispielsweise interessant zu wissen, ob die Schmerzpatienten Medikamente genommen haben und wenn ja, welche. Vielleicht haben Opioide in hoher Dosierung zum größeren Demenzrisiko geführt, vielleicht ist die Ursache ein erhöhter Cortisolspiegel aufgrund des Stresses, den der Schmerz mit sich bringt, sagt Bingel. Um dies herauszufinden, seien weitere Studien nötig. Die Ergebnisse bedeuten also nicht, dass chronische Schmerzen zwangsläufig dement machen, stellt Bingel klar. Förderlich sei auf jeden Fall viel Bewegung – sie wirke vorbeugend und akut gegen Schmerzen und wirke sich positiv auf vielfältige körperliche Prozesse aus, inklusive Stimmung und Kognition.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) empfiehlt in der aktuellen Leitlinie Demenzen körperliche Aktivität, da diese einen positiven Effekt auf kognitive Funktionen, Alltagsfunktionen, psychische und Verhaltenssymptome, Beweglichkeit und Balance hat. nk