chronisch krank: Immer in Bewegung bleiben

Menschen mit neurologischen Erkrankungen profitieren von körperlicher Aktivität in ganz besonderem Maße. Doch natürlich gibt es gerade für Patienten beim Sport auch ein paar Dinge zu beachten. Wichtig ist vor allem, auf die Signale des eigenen Körpers zu hören – und die Sportart zu finden, die einem wirklich Freude bereitet.

Wer rastet, der rostet. Und zwar überall im Körper: Nicht nur Muskeln und Gelenke bauen sich durch zu häufiges Nichtstun ab, auch das Gehirn stellt mit der Zeit viele seiner Dienste ein. Bewegungen, die so gut wie gar nicht mehr ausgeführt werden, kann das Gehirn irgendwann auch nicht mehr anordnen, sagt Professor Mathias Mäurer, Chefarzt der Klinik für Neurologie der Stiftung Juliusspital Würzburg.

Umgekehrt gilt aber auch: Bewegungen, die immer wieder trainiert werden, speichert das Gehirn besser ab als solche, die ihm nur von Zeit zu Zeit angeboten werden. Menschen mit neurologischen Erkrankungen haben ja oft auch Mobilitätsprobleme, sagt Mäurer, MS-Patienten beispielsweise häufig schon in jungen Jahren, Parkinsonpatienten eher später im Leben. Bei beiden Gruppen aber zeigten die Daten aus klinischen Studien, dass regelmäßiger Sport dabei helfe, länger beweglich zu bleiben.

Mehr Muskelkraft und Gleichgewicht

MS-Patienten, die trotz ihrer Erkrankung körperlich aktiv sind, haben in aller Regel mehr Muskelkraft, weniger Haltungsprobleme und ein besseres Gleichgewicht, sagt Mäurer. Auch Begleiterscheinungen wie die Fatigue lassen sich durch Sport reduzieren, häufige Folgeerkrankungen wie Diabetes, Osteoporose oder Depressionen vielfach verhindern.

MS-Erkrankte müssten im Übrigen keine Angst davor haben, dass die vermehrte körperliche Aktivität bei ihnen Krankheitsschübe auslösen könnte, sagt Mäurer. So habe eine Studie, die er vor einigen Jahren in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sportwissenschaft und Sport der Universität Erlangen durchgeführt hat, gezeigt, dass sich sportliche Betätigung – gleich welchen Ausmaßes – nicht negativ auf die Schubrate auswirkt.

Früher rieten Ärzte MS-Erkrankten oft generell vom Sport ab. Einer der wesentlichen Gründe dafür war die Besonderheit der MS, dass sich ihre Symptome bei erhöhter Körpertemperatur vorübergehend verschlimmern können, erläutert Mäurer. Heute weiß man, dass die Anzeichen dieses sogenannten Uhthoff-Phänomens – sie bilden sich meist innerhalb von 30 Minuten bis zwei Stunden wieder zurück – letztlich ungefährlich sind. Die Symptome seien zwar lästig, aber kein Grund, um auf die vielen vorteilhaften Effekte von Sport zu verzichten.

Denn selbst auf die kognitiven Leistungen des Gehirns wirke sich regelmäßige Bewegung positiv aus, sagt Mäurer. Sport könne zu einem gewissen Grad vor Alzheimer schützen und darüber hinaus auch noch im höheren Alter zu vermehrten Lernerfolgen führen. Insbesondere Ausdauertraining fördere die Leistungen des Gehirns, sagt der Neurologe. Denn dabei werden bestimmte Proteine, die neurotrophen Faktoren, vermehrt im Körper ausgeschüttet. Sie bewirken, dass neue Nervenzellen entstehen und sich die vorhandenen besser miteinander verknüpfen.

Schwerelos im Wasser

Besonders empfehlenswert sind Mäurer zufolge Sportarten, die Kraft- und Ausdauertraining in sich vereinen. Schwimmen und Klettern seien in diesem Sinne ideale Aktivitäten. Jegliche Form von Wassersport tut auch deshalb so gut, weil im Wasser die Schwerkraft aufgehoben ist und somit Bewegungen möglich werden, die an Land vielleicht schon nicht mehr ausgeführt werden können, sagt Mäurer. Dem Gehirn würden die Bewegungsabläufe auf diese Weise wieder nähergebracht.

Menschen mit Parkinson profitieren zudem oft vom Fahrradfahren und Tanzen. Es gibt mittlerweile viele Studien, die einen positiven Effekt dieser beiden Sportarten bei der Parkinsonerkrankung gezeigt haben, sagt Mäurer. Insbesondere der Tango Argentino habe sich dabei als wirkungsvoll erwiesen, möglicherweise wegen der weit ausladenden Bewegungen. Sowohl die Beweglichkeit als auch das Gleichgewicht vieler Patienten besserten sich in Studien durch das Tangotanzen signifikant.

Die Freude steht im Vordergrund

Selbst in starken körperlichen Einschränkungen sieht Mäurer kein grundlegendes Hindernis. Wer mit einem gewöhnlichen Fahrrad nicht mehr zurechtkommt, kann vielleicht auf ein Drei- oder Liegerad umsteigen oder auf eines, das per Handkurbel angetrieben wird, sagt der Mediziner. Schwerstbehinderte könnten zum Beispiel oft noch Sitzyoga oder auch Watsu betreiben. Dabei wird der Körper im warmen Wasser mithilfe eines Therapeuten bewegt.

Es kommt vor allem darauf an, die Sportart zu finden, die einem wirklich Freude bereitet, sagt Mäurer. Helfen kann es, sich dazu vorab ein paar Fragen zu beantworten: Möchte man allein oder lieber in einer Gruppe trainieren? Mit oder ohne Musik, in der Natur oder in einer Halle, im Wasser oder an Land? Sucht man den Nervenkitzel oder die Entspannung? Hilfe bei der Auswahl der geeigneten Sportart bieten in aller Regel der behandelnde Arzt, der Physiotherapeut, ein gutes Fitnessstudio, in dem auch Sporttherapeuten arbeiten, und die Selbsthilfegruppen.

Viele dieser Gruppen haben sogar eigene Sportprogramme im Angebot, bei denen man neue Kontakte knüpfen und in der Gemeinschaft trainieren kann – was meist zusätzlich motiviert. Wofür man sich letztendlich auch entscheidet: Der Spaß und nicht der Gedanke an Leistung oder gar Wettkampf sollte im Vordergrund stehen, sagt Mäurer.

Natürlich wird es immer Tage geben, an denen der innere Schweinehund groß und das Sofa so viel verlockender ist als der Gang zum Training. Gerade dann kann es helfen, sich mit Freunden oder Bekannten zum Sport verabredet zu haben, die man nicht hängen lassen möchte. Auch ein Sporttagebuch oder eine Fitness-App, die man sich aufs Smartphone lädt, können dazu beitragen, selbst an schlechteren Tagen bei der Stange zu bleiben.

Keine Alternative zu Medikamenten

Vielleicht lässt sich das Training in solchen Situationen auch ein wenig modifizieren. Es schadet bestimmt nicht, das Ausdauertraining gelegentlich um ein paar Minuten zu verkürzen und die Entspannungsphase dafür etwas länger zu gestalten. Und Menschen, die wissen, dass sie im Laufe des Tages zunehmend ermüden, sollten ihr Training wenn möglich in die Vormittagsstunden legen, rät Mäurer.

Bei aller Begeisterung für die positiven Effekte des Sports ist dem Neurologen ein Punkt jedoch besonders wichtig: Sport, egal wie intensiv er betrieben wird, ist niemals eine Alternative zur medikamentösen Therapie, sagt er. Die Aktivität solle die Arzneien nicht ersetzen, sondern ergänzen: Nur Patienten, die ärztlich optimal behandelt werden, sind in der Lage, auch optimal Sport zu treiben.