Psyche: Aus der Trübsal herausgekraxelt
Bouldern, das Klettern ohne Seil in Absprunghöhe, hilft gegen Depressionen. Das haben Forscher des Universitätsklinikums Erlangen herausgefunden. Der positive Effekt des Trainings hielt viele Monate lang an.
Frau Dr. Luttenberger, Sie haben gezeigt, dass Bouldern Depressionen lindert. Wie sind Sie ausgerechnet auf diese Sportart gekommen?
Meine Kollegen und ich klettern selbst und wir merken jedes Mal, wie das Training den Kopf frei macht. Da Patienten mit Depressionen oft in Grübelschleifen feststecken, kam uns die Idee, diese mithilfe des Boulderns zu unterbrechen.
Was macht das Bouldern so besonders geeignet?
Beim Klettern kann man gar nicht anders, als im Hier und Jetzt zu sein. Man muss gucken, wo man steht und wohin man den nächsten Schritt machen möchte. Menschen mit Depressionen haben oft das Gefühl, vor einem Riesenberg zu stehen, der nicht zu bewältigen ist. Beim Bouldern erleben sie, wie man bei einer großen Aufgabe Schritt für Schritt vorgehen kann und schließlich das gewünschte Ziel erreicht.
Was genau haben Sie in Ihrer Studie untersucht?
Wir hatten zwei Patientengruppen. Die eine Gruppe nahm acht Wochen lang ein Mal wöchentlich für jeweils drei Stunden an der Boulder-Therapie teil. Die andere Gruppe kam zunächst auf eine Warteliste. Wir wollten herausfinden, inwieweit sich die Schwere der Depression und die Symptome der Krankheit durch das Bouldern verändern. Derzeit läuft noch eine weitere Studie, in der wir unser Programm mit einer kognitiven Verhaltenstherapie und einem Fitnesstraining, das zu Hause absolviert wird, vergleichen.
Was waren bislang die wichtigsten Ergebnisse?
Wir konnten mithilfe eines Fragebogens, dem BDI-Test, zeigen, dass sich die Depression durch die Boulder-Therapie im Mittel um einen von insgesamt drei Schweregraden besserte. Auch die Selbstwirksamkeitserwartung – also die Überzeugung, mit dem eigenen Handeln etwas bewirken zu können – stieg. Die sozialen Kontakte nahmen zu und die Ängstlichkeit ließ nach. All diese Effekte waren auch noch ein halbes Jahr nach Beendigung der Therapie zu beobachten.
Inwieweit unterscheidet sich Ihr therapeutisches Bouldern von einem gewöhnlichen Klettertraining an der Wand?
Bei uns steht nicht die Leistung im Vordergrund, sondern das Erleben. Jede Stunde hat ein bestimmtes Thema, zum Beispiel Angst, Vertrauen, soziale Kontakte oder Ziele. Dazu gibt es eigens entwickelte Übungen. Jede Einheit beginnt und endet zudem mit einem Achtsamkeitstraining. Somit ist unser Programm auch für sportlich völlig unerfahrene, übergewichtige und ältere Menschen geeignet.
Wie können Menschen mit Depressionen daran teilnehmen?
An unserer Klinik in Erlangen gibt es eine fortlaufende Gruppe, die allen Patienten offen steht. Aber auch andere psychiatrische Kliniken haben das Potenzial des Boulderns bereits erkannt und bieten entsprechende Kurse an. Einen Überblick bietet zum Beispiel das Buch Klettern in der Therapie
von Thomas Lukowski. Sicher lohnt es sich aber auch, in den Klinken der Umgebung einfach mal nachzufragen.
Würden Sie den Patienten ansonsten auch einen normalen Kletterkurs empfehlen?
Wenn sie Lust dazu haben, auf jeden Fall! Sport jedweder Art wirkt sich positiv auf die Stimmung aus und gerade Klettern bringt so viel Freude. Wer aber lieber reiten, schwimmen oder tanzen möchte, sollte genau das tun. Hauptsache, die gewählte Sportart macht Spaß.