Migräne: Neue Hoffnung für Migränepatienten
Eine Antikörpertherapie verspricht Großes für die vorbeugende Behandlung der Migräne. In klinischen Studien konnte die Zahl der Schmerzattacken nahezu halbiert werden.
Migräne gehört zu den Erkrankungen, die weltweit am weitesten verbreitet sind. Rund eine Milliarde Menschen ist davon betroffen, in Deutschland ist es etwa jeder Zehnte. Die einseitig pochenden Schmerzen treten meist mehrmals im Monat auf und sind in der Regel begleitet von Übelkeit und extremer Licht- und Geräuschempfindlichkeit. Wenn sich eine Schmerzattacke ankündigt, ziehen sich Betroffene deshalb gerne in abgedunkelte Räume zurück und suchen die Ruhe. Der Alltag muss für eine Zeitlang unterbrochen werden.
Als Akutmaßnahme verschafft die Einnahme von starken Schmerzmitteln wie zum Beispiel Triptanen vielen Patienten vorübergehend Linderung. Manchen Patienten hilft auch die Akupunktur. Bis zu 70 Prozent aller Betroffenen sprechen auf die verschriebenen Medikamente an. Das heißt aber auch: Rund ein Drittel bekommt die Anfälle trotz aller Bemühungen nicht in den Griff.
Mit Antikörpern den Schmerz ausschalten
Nun haben Forscher einen Weg gefunden, die eine neue Ära in der Migränebehandlung einleiten könnte: die Antikörpertherapie. In Studien zeigte sich, dass Blut und Speichel von Betroffenen während einer Migräneattacke verstärkt den Botenstoff CGRP (Calcitonin Gene-Related-Peptide) aufweisen. Die Wissenschaftler schlossen daraus, dass der Stoff eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Migräneschmerzes spielt. In Experimenten fanden sie heraus, dass sich CGRP mit menschlichen Antikörpern gezielt blockieren lässt. »Die Antikörper-Prophylaxe ist eine Revolution in der Migränetherapie«, urteilt der Neurologe Dr. Andreas Peikert. »Sie ist das erste vorbeugende Mittel, das direkt für die Behandlung der Migräne konzipiert worden ist.«
Bislang wurden vier Antikörper-Wirkstoffe in klinischen Studien untersucht. Drei davon – nämlich Galcanezumab, Fremanezumab und Eptinezumab – binden direkt an den Botenstoff CGRP und machen ihn so unschädlich. Der vierte Wirkstoff – Erenumab – blockiert die CGRP-Rezeptoren. Der Botenstoff ist dadurch nicht mehr in der Lage, an den Ge-fäßen der Hirnhaut anzudocken und die schmerzhaften Entzündungsreaktionen auszulösen.
Von den vier neu entwickelten Wirkstoffen hat bis jetzt nur Erenumab eine EU-Zulassung erhalten. Zwar vermag er die Schmerzattacken nicht gänzlich zu verhindern. Aber bei den rund tausend Teilnehmern der Placebo-kontrollierten Phase-III-Studie ging die Zahl der monatlichen Anfälle im Durchschnitt um 40 bis 50 Prozent zurück. »Die Antikörper-Prophylaxe hilft vor allem denjenigen, für die es bislang keine wirkungsvolle Behandlung der Migräne gab«, sagt Andreas Peikert. Neben den geringen Nebenwirkungen spreche noch ein weiterer Vorteil für die Antikörpertherapie: die einfache Anwendung. Patienten können sich den Wirkstoff nämlich selbst unter die Haut spritzen. Einmal im Monat reiche aus, um die Antikörper im Blut zu erneuern, sagt Peikert. »Das ist nicht nur enorm praktisch, es fördert auch die Therapietreue. Einmal im Monat – das lässt sich schaffen.« tl