Multiple Sklerose: Mein neues Lebensgefühl ist prickelnde Leichtigkeit

Erst acht Jahre nach ihrer MS-Diagnose merkte Andrea Berauer-Knörrer, dass sie ihre Krankheit ernst nehmen sollte: Nach einem heftigen Schub und Burnout-Symptomen begann sie, besser auf sich selbst zu achten. Sie machte eine Yogalehrer-Ausbildung und änderte ihr Leben.

Vor sechs Jahren lief Andrea Berauer-Knörrers Leben plötzlich nicht mehr nach Plan – im wortwörtlichen Sinne. Ich hatte von einem Tag auf den anderen die Kontrolle über meine Beine verloren, berichtet sie. Zu diesem Zeitpunkt war sie seit drei Jahren Mutter, arbeitete in Teilzeit als Personalentwicklerin in einem Großkonzern – und hatte ihre MS-Diagnose, die sie bereits acht Jahre zuvor erhalten hatte, bis dahin locker genommen. Ich hatte immer nur leichte Schübe gehabt, die sich mit Cortison gut behandeln ließen, sagt die heute 37-Jährige. Aber plötzlich schwankte ich beim Laufen, als hätte ich 1,7 Promille Alkohol im Blut. Zu diesem heftigen Schub kamen Burnout-Symptome: Berauer-Knörrer fühlte sich gestresst und kam nicht zur Ruhe. Die sonst optimistische Frau fühlte sich den Anforderungen als Berufstätige, Mutter, Hausfrau und MS-Patientin zum ersten Mal nicht mehr gewachsen. Vorher habe ich einfach immer funktioniert, sagt sie rückblickend.

Von Leistungssport und Karriere zu Yoga

Auch die Diagnose selbst hatte sie als junge Frau nicht schockiert: Da ihre Mutter ebenfalls MS hat, kennt sie die Krankheit seit ihrer Kindheit. Ich hatte kein Problem damit, erzählt sie. Nach der Diagnose habe ich sogar angefangen, für einen Triathlon zu trainieren und für das Masterstudium zu lernen. Die starken Einschränkungen waren jedoch eine völlig neue Erfahrung für sie. Drei Monate lang war sie arbeitsunfähig. Der starke Schub ließ sich zwar zunächst gut behandeln, aber danach kam es immer wieder vor, dass sie ihre Beine von einer Sekunde auf die andere nicht mehr spürte.

Expertin aus eigener Erfahrung

Vor allem habe sie aber verstanden, dass sie ihren Umgang mit sich selbst ändern und Stress reduzieren müsse. Mit dieser Erkenntnis bekam Yoga in ihrem Leben die Bedeutung, die alles veränderte. Ich erinnerte mich daran, wie gut mir ein Yogawochenende und ein anschließender Kurs getan hatten, bevor ich schwanger wurde, sagt Berauer-Knörrer.

An diese Entspannungseffekte wollte sie anknüpfen und begann eine Ausbildung zur Yogalehrerin, zunächst nur für sich selbst. Später kam der Wunsch auf, sich mit ihrer neuen Leidenschaft selbstständig zu machen. Als ihr Arbeitgeber Stellen abbaute – darunter auch ihre – wagte sie 2017 mit einer finanziellen Entschädigung im Rücken den Schritt in die Selbstständigkeit. Sie ergänzte ihre Yogakenntnisse durch eine Coaching-Ausbildung und begleitet seitdem Menschen mit und ohne MS auf ihrem Weg zu einer ausgeglichenen Lebensweise. Es macht mich so glücklich, dass ich nicht nur zu mir selbst gefunden habe, sondern auch anderen helfen kann, sagt die Yogatrainerin. Bei diesem Prozess war für sie vor allem eine Erkenntnis wichtig: Stress ohne Ausgleich ist Gift. Dadurch, dass sie selbst diese Erfahrung gemacht habe, wisse sie genau, wovon sie spreche, wenn sie andere in Einzelcoachings, Yogakursen und Workshops begleite. Auch auf Impuls-Vorträgen bei MS-Tagen und Gesundheitstagen in Unternehmen gibt sie ihre Erfahrung weiter und bietet darüber hinaus Business-Yoga an. Egal in welchem Kontext: In meiner Arbeit geht es immer um Stressreduktion und das Ziel, der eigenen Berufung und den persönlichen Bedürfnissen zu folgen. So wie man von den Tausend Gesichtern der MS spricht, gibt es auch Tausend individuelle Wege zum Lebensglück, sagt Berauer-Knörrer, die für ihren eigenen Weg dankbar ist. Auch wenn sie durch die MS unangenehme Erfahrungen gemacht habe: Die Krankheit hat mich auf meinen Weg gebracht.

Atmen, vertrauen und Hilfe suchen

Sie lernt immer wieder dazu: Inzwischen kann sie andere um Hilfe bitten, Verantwortung abgeben und ihren Perfektionismus zügeln. Am besten funktionieren bei mir Atemtechniken und Meditation als wichtige Komponenten meiner Yogapraxis, sagt sie. Sie helfen mir auch bei MS-Schüben. So war es zum Beispiel im vergangenen Jahr, als sie für kurze Zeit nicht mehr richtig sprechen konnte. Eine große Stütze bietet ihr ein persönliches Team of Trust, wie Berauer-Knörrer ihre Ärzte nennt. Dazu zählen eine Hausärztin, zwei Neurologen, eine Psychotherapeutin und einige befreundete Coaches. Vor allem danke ich meinem Mann, der immer zu mir gestanden hat und mich voll unterstützt, sagt sie. Auf diese Weise gelingt es ihr, das Familienleben mit dem inzwischen siebenjährigen Sohn zu managen und ihre Selbstständigkeit erfolgreich auszubauen, Hobbies wie Stand-up-Paddling zu pflegen und sich für MS-Betroffene zu engagieren. Etwa als trotz-ms-Bloggerin sowie mit ihrem Podcast Yogacraft – Die Kunst und Kraft des Seins , der Ende Mai zum Welt-MS-Tag online geht.