Parkinson: Parkinson-Impfstoff in Sicht
Erstmals werden Immuntherapien an Patienten getestet. Bewähren sich die Wirkstoffe, sind Impfstoffe gegen die Parkinsonerkrankung vielleicht der nächste Schritt. Über die neuen Aussichten und die Frage, ob Telemedizin die Versorgungslücke für ältere Patienten schließen kann, diskutierten im Frühjahr Experten der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen.
Was Parkinson auslöst und vorantreibt, weiß man inzwischen recht gut. Doch auch 200 Jahre nach ihrer Entdeckung durch den englischen Arzt James Parkinson gibt die Nervenerkrankung immer noch große Rätsel auf. Unbeantwortet ist vor allem die Frage: Wie kann man die Nervenschäden aufhalten? Licht ins Dunkel könnten neue Immuntherapien bringen. Derzeit werden neuartige Wirkstoffe auf der Basis künstlich hergestellter Antikörper (PRX002 und BIIB054) in zwei Studien erstmals an Parkinsonpatienten getestet. Verlaufen die Tests plangemäß, könnten die Ergebnisse auch dazu beitragen, die Frage nach den Ursachen der bisher unheilbaren Erkrankung zu klären.
Immuntherapien im Test
In beiden Untersuchungen erhalten insgesamt mehr als 600 Patienten zwei Jahre lang Infusionen mit den Antikörpern. Im Rahmen der PASADENA- und SPARK-Studien wollen Wissenschaftler mehr über die Wirksamkeit der Präparate herausfinden. Bestätigen sich die vielversprechenden Ergebnisse aus Vorstudien, bahnt sich womöglich ein Durchbruch in der Behandlung von Parkinson an. Jetzt sind zum ersten Mal Therapien in Reichweite, die an den Ursachen ansetzen, statt lediglich die Symptome zu bekämpfen
, sagt Professor Günter Höglinger. Er leitet die klinische Forschung am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in München.
Zunächst werden Immuntherapien an Patienten in einem frühen Krankheitsstadium getestet. Wenn sich die neuartigen Medikamente als wirksam erweisen, werde voraussichtlich ein Therapieversuch bei Betroffenen unternommen, die noch keine Bewegungsstörungen zeigen, sowie bei Patienten im fortgeschrittenen Stadium, kündigt Höglinger an. Darüber hinaus hält es der Neurologe für möglich, der Erkrankung eines Tages mithilfe von Antikörpern vorbeugen zu können. Auch Professor Karla Eggert, Neurologin an der Marburger Uniklinik, kann sich das vorstellen: Vielleicht steht uns in absehbarer Zeit tatsächlich eine Art Impfstoff gegen Parkinson zur Verfügung.
Mit Antikörpern gegen schädliches Eiweiß
Die spezifischen Antikörper sollen verhindern, dass sich das Alpha-Synuclein-Protein in den Gehirnzellen ausbreitet. Dieses Eiweiß steht in dringendem Verdacht, die Parkinsonkrankheit auszulösen. Normalerweise bildet es die Grundsubstanz von Botenstoffen im Gehirn. Doch kann es auch zur Bedrohung für bestimmte Hirnzellen werden. Dann nämlich, wenn es plötzlich Klumpen bildet. Gehen daraufhin Nervenzellen zugrunde, die für die Herstellung von Dopamin zuständig sind, kommt es mit der Zeit zu den typischen Symptomen von Parkinson: Gangstörungen, Zittern und Muskelsteifheit. Erstes Ziel der Wissenschaftler ist es daher, die Bildung von Proteinklumpen zuverlässig zu unterbinden.
Alzheimer ist komplexer
Ob sich dadurch auch das Fortschreiten der Parkinsonkrankheit stoppen lässt, ist ungewiss. Nicht immer führen Immuntherapien unter Verwendung künstlich hergestellter Antikörper zum Erfolg. So wurden Versuche, mithilfe von Immuntherapien die Alzheimer-Demenz abzubremsen, im Jahr 2018 abgebrochen. Die bei der APECS-Studie eingesetzten Antikörper konnten zwar die Fehlbildung von Proteinen hemmen, doch schwächte sich der Verlauf der Demenz bei den Testpersonen nicht ab.
Professor Höglinger bleibt dennoch zuversichtlich. Der große Unterschied ist, dass bei Parkinson nur ein Eiweiß im Gehirn verklumpt, bei Alzheimer sind es zwei Eiweiße, nämlich Amyloidbeta und Tau. Die bisherigen Alzheimerstudien hatten aber nur jeweils eines der beiden Eiweiße im Visier.
Auch Karla Eggert ist weiterhin optimistisch: Wir hoffen, dass der Verlauf der Krankheit durch die neuartige Therapie verlangsamt wird.
Es werde aber noch mindestens zwei Jahre dauern, bis die letzten Patienten der beiden Studien behandelt worden seien und erste Ergebnisse vorlägen.
Telemedizin im Fokus
Neue Therapien, die mehr leisten können, als bloß Symptome zu behandeln und den krankhaften Dopaminmangel auszugleichen, werden dringend benötigt. Denn Mediziner gehen davon aus, dass sich die Zahl der Parkinsonpatienten in den westlichen Industriestaaten in den nächsten zwanzig Jahren verdreifachen wird. Allein in Deutschland werden dann bis zu 1,2 Millionen Männer und Frauen mit der Krankheit leben.
Auch heute schon haben medikamentös gut eingestellte Parkinsonpatienten die gleiche Lebenserwartung wie ihre nicht erkrankten Altersgenossen. Aber längst nicht alle Patienten seien ausreichend versorgt, beklagt Professor Dirk Woitalla, Chefarzt am St. Josef Krankenhaus in Essen: Etwa jeder fünfte Parkinsonpatient in Deutschland wird gar nicht medikamentös behandelt.
Eine Versorgungslücke entstehe vor allem dann, wenn Patienten nicht mehr zu Hause wohnten: Vor allem in Seniorenheimen sehen viele Parkinsonerkrankte selten oder nie einen Neurologen
, sagt Woitalla.
Um die Versorgung voranzubringen, plädiert der Neurologe für eine stärkere Nutzung der Telemedizin. Videosprechstunden und Apps zur Therapieunterstützung sind aus seiner Sicht die beste Lösung für eine angemessene Betreuung Die Fernbehandlung erübrige zudem aufwändige Transporte der Patienten vom Pflegeheim zum Facharzt.
In Zukunft per Kamera und Bildschirm zu behandeln, davon sind nicht alle Fachärzte begeistert. So bezweifelt Professor Wolfgang Jost, dass die Telemedizin den Versorgungsengpass beseitigen kann. Derzeit sei der Einsatz technisch zwar möglich, aber kaum praktikabel und zu teuer, kritisiert der Chefarzt der Parkinson-Klinik Ortenau. Mit Videotechnik lasse sich nicht einmal die Symptomatik des Parkinsonsyndroms vollständig erfassen, geschweige denn eine zuverlässige Diagnostik oder effektive Therapie durchführen. Den persönlichen Arzt-Patient-Kontakt könne die Telemedizin derzeit keineswegs ersetzen, so Josts Fazit. Der Neurologe schlägt stattdessen vor, Parkinsonpatienten vermehrt stationär in neurologischen Zentren zu behandeln. Dort verfügten interdisziplinäre Teams über alle diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Das würde die Krankenhäuser entlasten, die zunehmend ältere Patienten aufnehmen müssten, die zu Hause gestürzt seien oder sich aus anderen Gründen nicht mehr selbstständig versorgen könnten. Diese Patienten wurden vielleicht von einem erfahrenen niedergelassenen Kollegen gut behandelt und geraten nun, weil sich ihr Zustand plötzlich verschlechtert hat, möglicherweise an einen neurologisch unerfahrenen Klinikkollegen – das ist nicht sinnvoll.
Einig sind sich die Experten der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen darin, dass die Versorgung von Parkinsonpatienten das Gesundheitssystem zunehmend in Anspruch nehmen wird. Das Gestalten neuer Versorgungsformen, bei denen nicht mehr streng zwischen stationär und ambulant unterschieden wird, erscheint als ein sinnvoller Weg, um für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet zu sein.