Schlaganfall: Wenn nach dem Schlaganfall die Worte fehlen

Sprachstörungen zählen zu den ersten Symptomen eines Hirninfarkts. Mit modernen Therapien lassen sich jedoch viele, zunächst verloren geglaubte Fähigkeiten wiederherstellen.

Jedes Jahr erleiden mehr als 200.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Zu den häufigsten Folgen zählen Sprachstörungen: Gut ein Drittel der Betroffenen hat damit zu kämpfen. Viele von ihnen gewinnen ihre frühere Sprachfertigkeit im Laufe der Zeit wieder zurück, doch bei rund 40 Prozent bleibt die Störung dauerhaft bestehen. Eine Aphasie, so lautet der medizinische Fachbegriff, kann einsam machen. Wer darunter leidet, dem fällt es oft schwer, sich am familiären, sozialen und beruflichen Leben zu beteiligen – manche Betroffene ziehen sich sogar ganz zurück.

Wie die Symptome zusammenhängen

Sprech- und Sprachstörungen gehören zu unmittelbaren Zeichen eines Hirninfarkts, wie der Schlaganfall auch genannt wird. Zusätzlich können Lähmungen im Gesicht, an Armen und Beinen, Schluckprobleme und Sehstörungen auftreten. Einschränkungen der Gehirnfunktion wie Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten werden oft erst im weiteren Verlauf der Erkrankung offenbar.

Um zu verstehen, wie die unterschiedlichen Symptome zusammenhängen, hilft ein Blick auf den Krankheitsprozess. Ein Schlaganfall ist eine plötzlich auftretende Durchblutungsstörung in einem Bereich des Gehirns. Dadurch erhalten die dort angesiedelten Nervenzellen und Nervenzellverbindungen nicht mehr genug Sauerstoff und Nährstoffe. Je nachdem wie schwer oder wie lange die Durchblutung beeinträchtigt ist, kann das betroffene Hirnareal seine Aufgaben zeitweilig oder sogar dauerhaft nicht mehr erfüllen. Es gibt zwei Hauptursachen für eine unzureichende Blutversorgung des Gehirns. In etwa achtzig Prozent der Fälle liegt ein Verschluss oder eine Einengung von Blutgefäßen vor, etwa durch ein Blutgerinnsel oder aufgrund einer Arteriosklerose (auch als Gefäßverkalkung bekannt). Diese Form der Krankheit heißt ischämischer Schlaganfall. Seltener sind Blutungen im Gehirn die Ursache; man spricht dann von einem hämorrhagischen Hirninfarkt.

Dass es bei einem Schlaganfall sehr häufig zu Sprachproblemen, aber auch zu bestimmten kognitiven Funktionsstörungen kommt, hat mit einer speziellen Ausprägung der ischämischen Variante zu tun. Gemeint ist der sogenannte Media-Infarkt, der zu einem Verschluss eines der Hauptgefäße im Gehirn, der mittleren Hirnarterie, führt. Rund fünfzig Prozent der Hirninfarkte ereignen sich im Versorgungsgebiet dieses großen Blutgefäßes. Wird der Blutfluss linksseitig unterbrochen, kommt es fast immer zu Sprachstörungen. Der Grund dafür: In der linken Gehirnhälfte sind die Nervenzellen konzentriert, die für die Sprachverarbeitung zuständig sind.

Komplexer als gedacht

Allerdings beschränkt sich ein Hirninfarkt nicht ausschließlich auf sprachliche Netzwerke. Vielmehr sind immer auch angrenzende Areale betroffen etwa im Stirnhirn (fachsprachlich: präfrontaler Kortex) oder in tieferen Hirnschichten. Daher können sich neben sprachlichen Defiziten auch Einbußen bei den sogenannten exekutiven Leistungen bemerkbar machen; sie betreffen etwa das Denken und Planen, Konzentrieren und Behalten.

Heute weiß man, dass die exekutiven Funktionen eng mit den sprachlichen Fähigkeiten verknüpft sind. Eine Gesprächssituation, wie sie jeder von uns aus dem Alltag kennt, kann dies verdeutlichen. Schon bei der Begrüßung heißt es, schnell und flexibel auf die momentane Situation zu reagieren. Wenn wir ein bestimmtes Anliegen haben, müssen wir unsere Aufmerksamkeit gezielt steuern und dürfen uns nicht ablenken lassen – vom Straßenlärm etwa, von lauten Mitmenschen oder vom Nuscheln des Gesprächspartners. Gerade Gehörtes ist zu speichern und zu ordnen, während wir gleichzeitig überlegen, was wir als Nächstes sagen wollen und welche Worte sich dafür am besten eignen.

Daraus folgt: Ohne kognitive Leistungen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis – und hier insbesondere das verbale Arbeitsgedächtnis – wäre selbst ein einfaches Gespräch kaum möglich. Stehen umgekehrt die exekutiven Ressourcen nicht mehr hundertprozentig zur Verfügung, schmälert das auch unser Sprachvermögen. All dies ist wichtig, um die Tragweite eines Schlaganfalls besser zu erfassen und Behandlungsansätze einordnen zu können.

Sprache ist eine äußerst komplexe Leistung des menschlichen Gehirns und viel komplexer, als man lange angenommen hat. Früher gingen Neurologen und Sprachforscher davon aus, dass nur zwei Zentren über die Fähigkeit zur verbalen Kommunikation entscheiden: das für die Sprachproduktion zuständige Broca-Areal im Stirnhirn und das auf Sprachverständnis spezialisierte Wernicke-Areal im Schläfenlappen. Über die Verknüpfung der beiden Bereiche war kaum etwas bekannt.

So entstehen sinnvolle Sätze

Das hat sich in den letzten Jahren gründlich geändert. Forscher haben nicht nur herausgefunden, dass sprachliche Funktionen in dynamischen Netzwerken organisiert sind und weitaus größere Hirngebiete beanspruchen als gedacht. Darüber hinaus gibt es neben den bekannten Sprachzentren offenbar noch weitere Untereinheiten. Mithilfe bildgebender Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) konnten sie zudem die Funktionsweise im Detail erkunden. So zeigte sich, dass für die Fähigkeit, Wörter nach syntaktischen Regeln zusammenzufügen – also Sätze zu bilden –, bestimmte Nervenzelleinheiten des Broca-Areals erforderlich sind. In einem weiteren Schritt müssen die Wörter so verknüpft werden, dass sie einen Sinn ergeben. Dafür ist, wie sich aus den fMRT-Aufnahmen ablesen lässt, das Wernicke-Areal zuständig.

Um grammatikalisch richtige und bedeutungsvolle Sätze zu bilden, tauschen die beiden Sprachareale hochautomatisch und innerhalb weniger Millisekunden Informationen aus. Dies geschieht in voneinander getrennten neuronalen Schaltkreisen, die sich zu einem Sprachnetzwerk zusammenfügen und zwischen denen gebündelte Nervenfasern den Datentransport übernehmen.

Dabei verbindet ein Faserbündel den hinteren Anteil des Broca-Areals mit dem Schläfenlappen zu einem Schaltkreis. Nur wenn diese Verbindung funktioniert, können wir komplexe Sätze verarbeiten. Ein weiteres Faserbündel verknüpft bestimmte Areale im Stirnlappen und im Schläfenlappen zu einem Schaltkreis, der für die Wort- und Satzbedeutung zuständig ist. Diesen Weg muss unser Gehirn gehen, wenn wir Gehörtes verstehen wollen. Ein drittes Faserbündel verbindet den sogenannten prämotorischen Kortex im Stirnlappen mit dem im Schläfenlappen gelegenen Hörzentrum. Diese Verbindung sorgt dafür, dass wir gehörte Wörter und Sätze wiedergeben können.

Hilfe durch moderne Therapien

Alle diese Zentren und Verbindungen werden von der mittleren Hirnarterie mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Wird der Nachschub durch einen Schlaganfall unterbrochen, kann dies, wie erwähnt, zu erheblichen Ausfällen führen. Mit modernen, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Therapien lässt sich der Schaden jedoch deutlich begrenzen.

Wie groß die Heilungschancen sind, hängt zunächst von der Art des Hirninfarkts und seinem Ausmaß ab. Eine wichtige Rolle spielt zudem die Reservekapazität des Gehirns. So erholen sich Menschen ohne Vorschädigung des Gehirns schneller als andere und auch diejenigen mit einem aktiven Lebensstil haben hier bessere Voraussetzungen.

Verlorene Fähigkeiten neu erlernen

Doch weil das menschliche Gehirn so immens komplex und anpassungsfähig ist, ermöglicht es auch bei schwieriger Ausgangslage das Wiedererlernen und die Kompensation verloren gegangener Funktionen – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Dabei greifen Wiedererlernen und Kompensation meist ineinander.

Die Regeneration der Sprachverarbeitung nach einem Schlaganfall verläuft nach jüngsten Erkenntnissen zeitversetzt für einzelne Funktionen. So scheint sich das Hörverständnis schneller zu erholen als die Fähigkeit zum Nachsprechen. Darüber hinaus geht die Verbesserung sprachlicher Fertigkeiten Studien zufolge einher mit einer Erholung präfrontaler Netzwerke, die auch nicht-sprachliche, exekutive Fähigkeiten umfassen. Umgekehrt konnte nachgewiesen werden, dass ein alleiniges Aufmerksamkeitstraining zur Verbesserung sprachlicher Leistungen bei Aphasie führen kann.

Neben praktischen Fertigkeiten sind profunde theoretische Kenntnisse und das Wissen um neue Forschungsergebnisse unerlässlich, um Patienten mit Sprachstörungen optimal zu behandeln. Auf diese Weise lassen sich, wie zahlreiche Studien gezeigt haben, Einbußen nach einem Schlaganfall auch langfristig deutlich minimieren.