Transition: Die Behandlung nahtlos fortführen

Beim Übergang zwischen der Kinder- und der Erwachsenenmedizin sind viele Hürden zu überwinden und nicht immer verläuft der Übergang
störungsfrei. Um Komplikationen zu vermeiden, bieten Ärzte spezielle Sprechstunden an, bei denen alle Beteiligten an einem Tisch sitzen.

Wechseln Teenager von der Pädiatrie, also der Kindermedizin, in die Erwachsenenmedizin, komme es oft zu Schwierigkeiten, berichtet Professor Nicole Reisch. Sie ist Oberärztin an der Medizinischen Klinik IV der Universität München und betreut seit Jahren junge Patienten mit chronischen Erkrankungen an der Schwelle zum Erwachsenenalter. Gerade in dieser Übergangsphase fehlen Ansprechpartner, obwohl eine kontinuierliche Weiterbetreuung durch Spezialisten erforderlich wäre, sagt die Expertin. Unterbrechen Patienten ihre Therapie, könne dies zur Verschlechterung von Krankheiten führen. Mögliche Gründe sieht Reisch in den Versorgungsstrukturen: Jugendliche wüssten oft nicht, an wen sie sich wenden sollten. Hinzu komme der Abnabelungsprozess Heranwachsender von ihren Eltern: Plötzlich treffen Teenager ihre Entscheidungen selbst. Das funktioniere im medizinischen Bereich nicht immer.

Vom Pädiater zum Facharzt

Zu Beginn ihrer Erkrankung, wie etwa MS, sind Kinder in der Regel beim Pädiater oder in Kinderkrankenhäusern mit entsprechender Spezialisierung in Behandlung. Ihre Ärzte kennen jedes Detail der Krankengeschichte. Doch Pädiater behandeln Heranwachsende nur bis zum 18. Lebensjahr; danach sind Ärzte aus der Erwachsenenmedizin zuständig. Oft lernen die jungen Leute dann einen neuen Arzt kennen, der kaum etwas über ihre Vorgeschichte weiß, sagt Reisch.

Auch der persönliche Umgang ändert sich: So wird aus dem vertrauten Du im Gespräch mit dem Arzt und dem Praxisteam ein Sie. Vielleicht sind auch die Termine wegen der Unterschiede bei der Abrechnung dichter getaktet. Das heißt, Ärzte für Erwachsene könne sich weniger Zeit nehmen als Kinder- oder Jugendärzte – und persönliche Gespräche bleiben auf der Strecke. Das hat Folgen: Bis zu vier von zehn jungen Patienten verlieren zeitweise den Kontakt zu Fachärzten. Wir sehen in der Adoleszenz tatsächlich mehr Komplikationen bei Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen, berichtet Reisch.

Abnabelung vom Elternhaus

Hinzu kommt, dass Teenager generell eher risikobereit sind. Womöglich haben sie ihr Leiden noch nicht akzeptiert und fühlen sich dadurch eingeschränkt. Eventuell sehen sie in der Fürsorge ihrer Eltern eine Last, die es abzuschütteln gilt. Nehmen sie ihre Medikamente nicht weiter regelmäßig ein, kann es zum Schub kommen: Die Krankheit verschlechtert sich.

Eltern sollten die Verantwortung schrittweise an ihre Kinder abgeben und nicht erst dann, wenn sie volljährig sind, empfiehlt Reisch. Jugendliche könnten dann quasi unter Aufsicht lernen, ihr chronisches Leiden selbst zu managen – sei es bei der Vereinbarung von Arztterminen oder der Medikamentenbeschaffung aus der Apotheke. Wie gut das gelinge, hänge vom einzelnen Jugendlichen ab. Nicole Reisch: Ärzte könnten diesen Prozess unterstützen.

Alle an einem Tisch

Die Münchener Ärztin hat gute Erfahrungen gemacht mit sogenannten Transitionssprechstunden. Dabei setzen sich Teams von Kinder- und Jugendärzten sowie Erwachsenenmediziner mit Spezialisierung auf eine Erkrankung wie MS mit ihren jungen Patienten zu gemeinsamen Sprechstunden zusammen. So geht das Wissen über die Vorgeschichte des Erkrankten nicht so leicht verloren. Alle Beteiligten lernen sich kennen und tauschen sich aus. Und Teenagern fällt es so oft leichter, Vertrauen in ihre neuen Ansprechpartner zu entwickeln. Die jungen Patienten sind etwa 16 bis 21 Jahre alt, wenn sie an Transitionssprechstunden teilnehmen. Diese beschränken sich aus Kostengründen auf einmalige Treffen. Gerade bei komplexen Erkrankungen wie MS wären eigentlich mehrere Termine sinnvoll – aber selbst eine einzige Sprechstunde kann viel bewirken.

Wichtiges Wissen

Ein weiterer Vorteil der Transitionssprechstunde ist, dass die Ärzte in dieser erfahren, wie gut ihre jungen Patienten sich mit ihrer Krankheit auskennen. Häufig zeigten sich erhebliche Wissensdefizite, sagt die Münchner Oberärztin. Um die zu beheben, seien intensive Schulungen erforderlich – kurze Gespräche zwischen Tür und Angel reichten dafür nicht aus: Detailliertes Wissen ist wichtig, um die eigene Erkrankung zu verstehen und im Notfall richtig zu handeln. mvdh

Im Jahr 2010 hat eine bundesweite Befragung gezeigt, dass es zwar Schulungen für Patienten mit chronischen Erkrankungen gibt, dass aber nur wenige Programme qualitätsgesichert waren, erinnert sich Dr. Karin Storm van’s Gravesande. Die Ärztin forscht am Lehrstuhl für Sozialpädiatrie der Technischen Universität München. Storm zufolge ist die Lücke mit dem Modularen Schulungsprogramm für chronisch kranke Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern (ModuS) geschlossen worden. Dieses Schulungsprogramm wurde vom Kompetenznetz Patientenschulung für Kinder und Jugendliche e. V. (KomPaS) entwickelt. Karin Storm van’s Gravesande hat anhand dieser Schulungsmodule speziell eine Schulung für Kinder und Jugendliche mit Multipler Sklerose (MS) und deren Eltern entwickelt.

ModuS besteht aus verschiedenen Schulungsinhalten, die zum Teil krankheitsübergreifend entwickelt wurden. Fachspezifische Themenpakete gibt es unter anderem zu Asthma bronchiale, Diabetes mellitus Typ 1, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, chronisch-funktionellen Bauchschmerzen, Harninkontinenz, Mukoviszidose, zu Immundefekten und zur Multiplen Sklerose, sodass Schulungen zu diesen Themen angeboten werden können. Je nach Thema der Schulung ist ein interdisziplinäres Team von Ärzten, Psychologen, Physiotherapeuten und Sozialpädagogen dabei.

Die eigene Krankheit verstehen

Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern werden in mehrstündigen Präsenzveranstaltungen geschult. Dabei werden ihnen zunächst medizinische Grundlagen in verständlicher Form vermittelt. Bei der MS-Schulung lernen die Teilnehmer unter anderem, die Krankheit besser zu verstehen und warum so viele verschiedene Symptome auftreten können. Zudem erfahren die Kursteilnehmer, warum es auch in beschwerdefreien Zeiten wichtig ist, die Medikamente nach ärztlicher Anweisung einzunehmen. Sie lernen, auf Warnsignale zu achten und was zu tun ist, wenn sich die chronische Erkrankung verschlechtert.

In der Schulung werden zudem soziale Aspekte behandelt. Jugendliche wollen zum Beispiel wissen, welche Ausbildung oder welcher Beruf für sie geeignet ist. Sie fragen sich, ob sie Mitmenschen von ihrer MS erzählen sollten oder besser nicht. Mögliche Einschränkungen in der Freizeit sind ebenfalls ein wichtiges Thema. Auch die sogenannte Transition, sprich der Übergang zwischen Kinder- oder Jugendmedizin und Erwachsenenmedizin, wird bei ModuS angesprochen.

Kontakt für Eltern und Jugendliche

Diese MS-Schulung wird am KbO-Kinderzentrum in München und am Zentrum für Kinder und Jugendmedizin des Universitätskinikums Freiburg angeboten. Weitere Informationen dazu sind unter zu finden. mvdh