Multiple Sklerose: Bedeutsame B-Zellen

Bis vor Kurzem wurden T-Zellen als zentrale Instanzen im Krankheitsgeschehen der MS gesehen. Doch auch B-Zellen spielen eine wichtige Rolle, wie aktuelle Studien zeigen.

T- und B-Zellen gehören zu den weißen Blutkörperchen. Sie spielen bei der Abwehr von Infektionen eine Rolle. T steht für Thymus und B für Knochenmark (englisch: bone marrow). In diesen Organen reifen Immunzellen heran. Gelegentlich verlieren T-Zellen ihre Fähigkeit, zwischen Eindringlingen und körpereigenen Strukturen zu unterscheiden. Dann attackieren sie unter anderem Myelinscheiden, also die Isolationsschichten von Nervenfortsätzen. Solche Angriffe markieren den Beginn von MS. Unlängst berichteten Forscher aus Schweden und der Schweiz in der Fachzeitschrift Cell, dass entgegen früheren Vermutungen auch B-Zellen eine wichtige Rolle im Krankheitsprozess spielen.

Eine komplexe Kaskade

Zum Hintergrund: Arzneimittel, die B-Zellen ausbremsen, gibt es schon länger. Sie werden etwa bei Rheuma oder Blutkrebs verordnet. Wie sich im praktischen Einsatz dieser Medikamente herausstellte, helfen sie auch gegen MS, indem sie die Zahl der Krankheitsschübe und der Läsionen im Gehirn verringern. Offen war bisher, wie es dazu kommt.

Das Team um den Biologen Ian Jelcic konnte diese Frage nun klären. Erwartungsgemäß entdeckten die Wissenschaftler in Blutproben von MS-Patienten zunächst nur aktive T-Zellen, die sich gegen körpereigene Nervenfaserhüllen richteten. Ausgelöst wird der zerstörerische Prozess, wie die Wissenschaftler bei näherer Betrachtung erkannten, durch bestimmte B-Zellen. Auf ihrer Oberfläche tragen die B-Zellen spezifische Bindungsstellen, sogenannte Rezeptoren (siehe Grafik oben). Hier docken körpereigene Stoffe an, die sogenannten Autoantigene. Dieser Schritt aktiviert T-Zellen. Es kommt zur Freisetzung von Botenstoffen, also Proteinen, die im speziellen Fall Entzündungen ankurbeln (Grafik, 2). Gleichzeitig locken B-Zellen andere weiße Blutkörpechen an, die Fresszellen. Die sind normalerweise dafür zuständig, schädliche Mikroorganismen zu bekämpfen. Bei MS aber beschleunigen die Fresszellen die Zerstörung von Myelin (Grafik, 3). Ein weiterer Beleg für die auslösende Wirkung der B-Zellen: Schalteten Forscher diese Zellen versuchsweise aus, bremsten sie damit auch die Vermehrung von T-Zellen.

Die im Labor untersuchten T-Zellen treten bei Krankheitsschüben vor allem im Gehirn von Patienten auf (Grafik, 4). Das liegt an einem speziellen Eiweiß. Es wird von Nervenzellen, aber auch von B-Zellen hergestellt und lockt die T-Zellen an. mvdh

Eine Landkarte des Immunsystems im Gehirn

Mikroglia sind Fresszellen im Gehirn. Anders als bisher angenommen, haben unterschiedliche Mikroglia gemeinsame Vorläufer. Das geht aus neuen entwicklungsbiologischen Analysen hervor.

Unser Gehirn ist vom Rest des Körpers durch die Blut-Hirn-Schranke hermetisch abgetrennt. Große Moleküle, etwa Viren, Bakterien oder Eiweiße, können nicht passieren. Der Mechanismus schützt alle Nervenzellen vor Erregern, hält aber auch Immunzellen fern. Deshalb hat unser Gehirn ein unabhängiges Immunsystem entwickelt. Es beseitigt defekte Nervenzellen vor Ort, damit es nicht zu Entzündungen kommt. Bislang war unklar, wie sich die Immunzellen entwickeln – und was passiert, wenn Krankheiten auftreten.

Anders als im Lehrbuch

Forscher um Professor Marco Prinz vom Institut für Neuropathologie am Universitätsklinikum Freiburg klärten einige der bislang offenen Fragen mit modernen Techniken. Per Mikroskop untersuchten sie Gewebe aus unterschiedlichen Gehirnregionen. Die Proben stammten nicht nur von Mäusen, sondern auch von Patienten, die der Verwendung für Forschungszwecke vor gehirnchirurgischen Eingriffen zugestimmt hatten. Außerdem bestimmten Prinz und Kollegen, welche Eiweiße eine Immunzelle herstellen kann. Alle Daten wurden in einer Art Landkarte erfasst, die Gehirnregionen räumlich darstellt.

Wir konnten zeigen, dass es im Gehirn nur einen einzigen Typ Mikrogliazellen gibt, sagt Prinz. Diese Immunzellen haben alle den gleichen Ursprung, entwickeln sich aber je nach Aufgabe im Gehirn unterschiedlich weiter. Es handelt sich um sehr vielseitige Alleskönner und nicht um Spezialisten, wie es noch in den Lehrbüchern steht, fasst der Freiburger Wissenschaftler zusammen. Es sei extrem spannend zu beobachten, wie flexibel Mikroglia im Gehirn auf wechselnde Anforderungen reagierten.

Was sich bei Multipler Sklerose ändert

Prinz sieht in seiner Kartierung der Immunzellen nicht nur ein Werkzeug für die Forschung. Denn fehlgesteuerte Mikroglia spielen bei etlichen neuronalen Erkrankungen eine Rolle, auch bei der Multiplen Sklerose (MS). Im gesunden Gehirn bilden Mikroglia ein gleichförmiges Netz um die Nervenzellen. Die geordneten Strukturen geraten bei Erkrankungen nach kurzer Zeit durcheinander. Außerdem entstehen viele neue Fresszellen. Prinz hofft jetzt, das typische Muster von Immunzellen bei MS gezielt beeinflussen zu können. Ob das funktioniert, müssen weitere Studien zeigen. mvdh