Multiple Sklerose: Eine Landkarte des Immunsystems im Gehirn
Mikroglia sind Fresszellen im Gehirn. Anders als bisher angenommen, haben unterschiedliche Mikroglia gemeinsame Vorläufer. Das geht aus neuen entwicklungsbiologischen Analysen hervor.
Unser Gehirn ist vom Rest des Körpers durch die Blut-Hirn-Schranke hermetisch abgetrennt. Große Moleküle, etwa Viren, Bakterien oder Eiweiße, können nicht passieren. Der Mechanismus schützt alle Nervenzellen vor Erregern, hält aber auch Immunzellen fern. Deshalb hat unser Gehirn ein unabhängiges Immunsystem entwickelt. Es beseitigt defekte Nervenzellen vor Ort, damit es nicht zu Entzündungen kommt. Bislang war unklar, wie sich die Immunzellen entwickeln – und was passiert, wenn Krankheiten auftreten.
Anders als im Lehrbuch
Forscher um Professor Marco Prinz vom Institut für Neuropathologie am Universitätsklinikum Freiburg klärten einige der bislang offenen Fragen mit modernen Techniken. Per Mikroskop untersuchten sie Gewebe aus unterschiedlichen Gehirnregionen. Die Proben stammten nicht nur von Mäusen, sondern auch von Patienten, die der Verwendung für Forschungszwecke vor gehirnchirurgischen Eingriffen zugestimmt hatten. Außerdem bestimmten Prinz und Kollegen, welche Eiweiße eine Immunzelle herstellen kann. Alle Daten wurden in einer Art Landkarte erfasst, die Gehirnregionen räumlich darstellt.
Wir konnten zeigen, dass es im Gehirn nur einen einzigen Typ Mikrogliazellen gibt
, sagt Prinz. Diese Immunzellen haben alle den gleichen Ursprung, entwickeln sich aber je nach Aufgabe im Gehirn unterschiedlich weiter. Es handelt sich um sehr vielseitige Alleskönner und nicht um Spezialisten, wie es noch in den Lehrbüchern steht
, fasst der Freiburger Wissenschaftler zusammen. Es sei extrem spannend zu beobachten, wie flexibel Mikroglia im Gehirn auf wechselnde Anforderungen reagierten.
Was sich bei Multipler Sklerose ändert
Prinz sieht in seiner Kartierung der Immunzellen nicht nur ein Werkzeug für die Forschung. Denn fehlgesteuerte Mikroglia spielen bei etlichen neuronalen Erkrankungen eine Rolle, auch bei der Multiplen Sklerose (MS). Im gesunden Gehirn bilden Mikroglia ein gleichförmiges Netz um die Nervenzellen. Die geordneten Strukturen geraten bei Erkrankungen nach kurzer Zeit durcheinander. Außerdem entstehen viele neue Fresszellen. Prinz hofft jetzt, das typische Muster von Immunzellen bei MS gezielt beeinflussen zu können. Ob das funktioniert, müssen weitere Studien zeigen. mvdh