Multiple Sklerose: Missverständnisse ausräumen

In vielen Fällen sieht man MS-Patienten dank moderner Therapien ihr Leiden kaum noch an. Welche sozialen Folgen das für Betroffene haben kann, schildert Dr. Carolin Tillmann, Diplom-Pädagogin an der Universität Marburg.

Unsichtbare Symptome bei MS wie beispielsweise eine krankhafte Erschöpfung, Sehstörungen, Konzentrationsstörungen oder eine Schwäche in Armen oder Beinen führen nicht selten zu Missverständnissen im zwischenmenschlichen Umgang, sagt Dr. Carolin Tillmann. Wer selbst nicht an der Krankheit leide und auch niemanden mit MS näher kenne, so die Wissenschaftlerin, deute manche Beobachtung falsch. Wenn etwa eine MS-Patientin in den heißen Sommermonaten eine Einladung zurückweist, sei mancher Gastgeber geneigt, dies als Desinteresse zu deuten – und nicht als krankheitsbedingte Einschränkung aufgrund des Uhthoff-Phänomens (siehe Kasten).

Mehr als Schlafmangel

Wissenschaftliche Untersuchungen belegen zudem, dass Reaktionen auf Krankheitssymptome besonders negativ ausfallen, wenn Mitmenschen denken, ein Patient könne seine Beschwerden selbst beeinflussen, berichtet Tillmann. Das treffe vor allem auf Beschwerden zu, die Laien nicht als solche deuteten. Einem Patienten, der unter MS-bedingter Fatigue leide, werde dann möglicherweise unterstellt, er reiße sich nicht genug zusammen oder schlafe zu wenig. Hier ist es wichtig, den Mitmenschen zu erklären, dass MS-Symptome nicht mit Alltagsbeschwerden wie Erschöpfung, Müdigkeit oder Konzentrationsstörungen zu verwechseln sind.

Austausch mit Gleichgesinnten

Das klappt nicht immer. Gerade Erwerbstätige verheimlichen MS oft, weil sie Konsequenzen am Arbeitsplatz befürchten, sagt Tillmann. Sie rät ihren Patienten, sich Netzwerken und Selbsthilfegruppen anzuschließen. Der Austausch mit Gleichgesinnten helfe in vielen Lebenslagen – gemeinsam sei man eben doch stärker. Wenn Erkrankte aufgrund ihrer unsichtbaren oder sichtbaren Symptome am Arbeitsplatz benachteiligt werden, können sie sich bei der Hotline der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kostenlos rechtlichen Beistand holen, so die Expertin. Nach einem Erstgespräch erhalten sie Kontakte zu Beratungsstellen in ihrer Nähe.

Es kann jeden treffen

Zu juristischen Auseinandersetzungen muss es jedoch nicht kommen. Die Diplom-Pädagogin appelliert an Vorgesetzte, Kollegen und Bekannte von Patienten, auf diese zuzugehen: Fragen Sie den Kranken, was er hat und was er braucht, anstatt versehentlich falsche Schlüsse zu ziehen. Selbst gesunde Menschen sollten nicht vergessen, mahnt Carolin Tillmann, dass mit steigendem Lebensalter die Wahrscheinlichkeit zunehme, chronisch zu erkranken – wenn auch nicht unbedingt an MS. mh