Sucht: Auf einmal geht es nicht mehr ohne

Am Anfang steht meist die pure Neugier: die erste Zigarette, das erste Glas Bier, der erste Joint, das erste Spiel am Computer. Später wird daraus vielleicht eine lieb gewonnene Gewohnheit. Und irgendwann stellt man womöglich fest: Eigentlich geht es gar nicht mehr ohne. Der Weg in die Abhängigkeit ist fast immer ein schleichender. Fest steht: Es sind viel mehr Menschen suchtkrank, als man denkt.

Für die einen sind es die Zigaretten oder die alkoholischen Getränke, von denen sie nicht mehr loskommen. Für die anderen ist es vielleicht das Computerspiel, ohne das sie sich ihr Leben nicht mehr vorstellen können. Suchterkrankungen sind alles andere als ein Randproblem unserer Gesellschaft. Viele Menschen in Deutschland – weit mehr, als man denken würde – sind süchtig. Nach einer bestimmten Substanz oder nach einem Tun, das sich immer mehr in den Vordergrund drängt, sodass wichtigere Dinge dafür vernachlässigt werden. Die aktuellen Zahlen sprechen für sich. Rund zwölf Millionen Menschen hierzulande rauchen noch immer – trotz aller inzwischen hinlänglich bekannten Gesundheitsgefahren, auf die jede Packung Zigaretten mit drastischen Worten und Bildern hinweist. Das hat unter anderem der Epidemiologische Suchtsurvey 2018 ergeben. An den Folgen des Konsums nikotinhaltiger Produkte sterben Jahr für Jahr mehr als 120.000 Menschen in Deutschland, hauptsächlich wegen Lungenkrebs.

Schäden schon im Mutterleib

Zigaretten sind hierzulande somit das Suchtmittel Nummer eins. Dahinter folgt nicht etwa, wie gemeinhin angenommen wird, der Alkohol: An zweiter Stelle in der Liste der verbreitetsten süchtig machenden Substanzen stehen Medikamente. Geschätzt circa 2,3 Millionen Menschen in Deutschland nehmen dem Survey zufolge missbräuchlich Arzneien ein. Sie schlucken Tabletten und Tropfen nicht, um ihre Krankheitssymptome zu lindern, sondern um sich zu berauschen und beispielsweise negativen Gedanken auf vermeintlich leichte Art und Weise zu entkommen.

Der Alkohol steht erst an dritter Stelle. Rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland gelten als alkoholabhängig. Das Verlangen nach dem Drink schädigt dabei vielfach nicht nur die Süchtigen selbst, sondern auch deren Nachwuchs. Pro Jahr kommen hierzulande etwa 10.000 Babys mit Schäden auf die Welt, die auf den Alkoholkonsum der Mutter zurückgehen. Mit dieser Bürde werden die meisten der betroffenen Kinder ein Leben lang belastet sein.

Cannabis bleibt populär

Nicht ganz so verbreitet sind die Abhängigkeiten von illegalen Substanzen – vermutlich vor allem deswegen, weil diese schwieriger zu beschaffen sind. Laut Suchtsurvey weisen rund 600.000 Menschen in Deutschland einen problematischen Konsum von Cannabis und anderen verbotenen Drogen auf. Unter den illegalen Substanzen bleibt Cannabis nach Angaben des im November vorgestellten Drogen- und Suchtberichts der Bundesregierung nach wie vor die am häufigsten konsumierte Droge. 19 Prozent der für diesen Bericht befragten Jugendlichen gaben an, schon einmal Cannabis genommen zu haben. Unter den jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren waren es sogar 42,5 Prozent. Problematisch ist das vor allem, weil Cannabis insbesondere im sich noch entwickelnden Gehirn von Jugendlichen und jungen Erwachsenen bleibende Schäden anrichten kann.

Junge Menschen rauchen weniger

Substanzen wie Heroin, Kokain und neue, meist synthetisch hergestellte psychoaktive Stoffe hingegen wurden zuletzt weniger konsumiert als in den Vorjahren. Dennoch sind opioidhaltige Substanzen wie beispielsweise Heroin noch immer die Hauptursache, wenn Menschen an Drogen versterben. Die Zahl der Drogentoten blieb im Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr nahezu kons-tant: 2017 waren es 1.272 Personen, die durch den Konsum illegaler Rauschmittel starben; 2018 waren es 1.276. »Der Bericht macht deutlich, wo es noch Baustellen gibt und wo wir bereits gute Fortschritte erzielt haben, sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig. »Gute Entwicklungen sehen wir bei dem Thema Tabak – Rauchen ist langsam wirklich out. Gleichzeitig sei allerdings zu erkennen, dass der Konsum von E-Zigaretten deutlich ansteige, gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. »Diesen Trend gilt es zu stoppen, sagt Ludwig. Sie fordert daher ein noch umfassenderes Werbeverbot für Tabak- und insbesondere auch für alle Dampfprodukte.

Abhängig vom OnlineSpiel

Lange Zeit dachte man beim Thema Sucht fast ausschließlich an die Abhängigkeit von Drogen und anderen süchtig machenden Substanzen. Mit der Einführung des Internets ist allerdings eine weitere Form der Sucht mehr und mehr in den Vordergrund gerückt: Es sei davon auszugehen, dass in Deutschland etwa 560.000 Menschen onlineabhängig sind, schreibt das Bundesministerium für Gesundheit auf seiner Internetseite.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat eine Form der Onlineabhängigkeit, die Computerspielsucht, im vergangenen Mai sogar als eigenständige Erkrankung anerkannt und in ihren weltweit geltenden Katalog der Krankheitsbilder ICD (International Classification of Diseases) aufgenommen. Nach den Kriterien der WHO gelten weltweit etwa drei von hundert Computerspielern als abhängig – mit allen negativen Konsequenzen, die eine Suchterkrankung haben kann. Die Zahlen für Deutschland sind ersten Schätzungen zufolge ähnlich hoch.

Der Weg in die Sucht ist fließend

Wann aber wird aus einer lieb gewonnenen Gewohnheit eine echte Abhängigkeit? Ein kleines Laster hat wohl jeder. Und gegen ein tägliches Spiel im Internet spricht ja erst einmal ähnlich wie gegen das gelegentlich getrunkene Glas Alkohol wenig. Doch die Grenzen sind fließend. Experten sind sich einig, dass insbesondere bei ernst zu nehmenden Suchtmitteln wie Alkohol oder Cannabis – anders als etwa bei Kaffee oder Schokolade – nur ein schmaler Grat den weitgehend harmlosen Konsum vom schädlichen Missbrauch dieser Mittel trennt. Dabei gilt in der Regel: Je angenehmer die Wirkung eines Suchtmittels empfunden wird und je besser der Einzelne die körperlichen Folgen eines Rausches verträgt, desto höher ist die Gefahr des Missbrauchs und der Entstehung einer echten Suchterkrankung.

Zu Beginn hilft Achtsamkeit

Klar ist auch: Bei einer Sucht brauchen die Betroffenen in aller Regel professionelle Hilfe. Schlechte Gewohnheiten hingegen kann jeder mit etwas Mühe selbst ablegen. Der US-amerikanische Psychiater und Neurowissenschaftler Dr. Judson Brewer – er ist auch Autor des Buchs Das gierige Gehirn – hat beispielsweise erforscht, wie Achtsamkeitsübungen bei diesem Schritt helfen. Im Wesentlichen geht es darum, aufmerksam das Gefühl zu beobachten, das man bekommt, wenn man sich etwa nach einem Glas Wein sehnt. Ziel der Übung ist es, das Gefühl genau kennenzulernen und festzustellen, dass man es aushalten kann und dass es sogar wieder verebbt – auch wenn man ihm nicht nachgibt.