Migräne: Migräne bei Kindern
Mehr als die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen leidet immer wieder an Kopfschmerzen und knapp jeder zehnte Schüler an Migräne. Das beeinträchtigt ihre Lebensqualität und Leistungsfähigkeit sehr. Wie die Migräne im Kindesalter behandelt und was präventiv getan werden kann, erläutert die Neurologin und Leiterin der Kopfschmerzambulanz am Universitätsklinikum Dresden, Privatdozentin Dr. Gudrun Goßrau.
Welche Form der Migräne kommt bei Kindern und Jugendlichen besonders häufig vor?
Kinder leiden meistens an der episodischen Migräne ohne Aura. Die chronische Migräne mit mindestens 15 Schmerztagen im Monat tritt in jungen Jahren nur selten auf.
Wie wird eine Migräne bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert?
Schon im Vorfeld der Untersuchung bei uns füllen die Kinder Fragebögen aus und führen einen Kopfschmerzkalender. Es ist wichtig, dass sie sich, vielleicht zusammen mit ihren Eltern, Gedanken machen: Wie oft habe ich die Kopfschmerzen eigentlich? Was mache ich, wenn das passiert? Wie ist der Schmerz, ist es immer derselbe? Ist mir auch übel dabei? Dauern die Schmerzen eine Stunde oder vielleicht sogar zehn Stunden an? Ihre Aufzeichnungen bringen die Patienten dann zum ersten Termin mit zu uns in die Sprechstunde. Wir machen ein sehr ausführliches Anamnesegespräch und klinische Untersuchungen, gelegentlich auch ein MRT, um herauszufinden, ob womöglich andere Erkrankungen die Schmerzen verursachen.
Wenn Sie dann tatsächlich eine Migräne feststellen, wie behandeln Sie diese?
Wir erstellen einen individuellen Therapieplan, der aus nicht medikamentösen und medikamentösen Ansätzen besteht. Der nicht medikamentöse Teil der Behandlung setzt sich aus drei Bausteinen zusammen. Als erstes schauen wir uns gemeinsam mit den Patienten und Eltern den Tagesablauf des Kindes an: Ist der Tag zu voll oder gibt es zu wenig Aktivitäten? Werden die Mahlzeiten regelmäßig eingenommen? Und was ist mit dem Frühstück? Wie sieht es aus mit der Bewegung? Fährt das Kind Fahrrad, treibt es irgendeine Sportart oder sitzt es viel an der Konsole oder am Handy? Kurzum: Wir versuchen herauszubekommen, welche Stressfaktoren es im Leben des Kindes oder Jugendlichen gibt und was man ändern könnte.
Welche weiteren Bausteine hat die Behandlung?
Wir motivieren die Kinder, Entspannungstechniken zu lernen und im Alltag anzuwenden. Das geschieht entweder per Video oder direkt unter Anleitung eines Entspannungstherapeuten. Derzeit testen wir ein Riechtraining mit verschiedenen Gerüchen. Diese Wahrnehmungsübung hilft den Patienten dabei, achtsamer zu werden. Der dritte Baustein unseres Behandlungsansatzes ist die Information. Wir füttern die Kinder und auch ihre Eltern regelrecht mit Wissen zu allen möglichen Fragen: Was ist Kopfschmerz? Was ist Migräne? Was genau läuft dabei im Körper ab? Und was weiß man über die Auslöser von Schmerzattacken?
Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrem Programm?
Die Kinder sollen sich selbst besser kennenlernen und akzeptieren lernen, wie sie sind. Am Ende können sie idealerweise sagen: So bin ich also, das kann ich, hier sind meine Grenzen und das brauche ich, damit es mir gut geht.
Dazu dient zum Beispiel auch unser Klettertraining. Es stärkt die Selbstwirksamkeit, also das Wissen darum, schwierige Situationen selbst meistern zu können. Jemand, der unter Migräne leidet, ist in der Regel genetisch belastet und daran kann man nun einmal nichts ändern. Allerdings sind die Beschwerden hinsichtlich ihrer Stärke, Häufigkeit und Dauer sehr variabel. Wie und warum etwas jemandem hilft, ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich, es müssen immer individuelle Lösungen gefunden werden. Diese sollten dann auch praktikabel sein. Es bringt nichts, wenn die Kinder hier bei uns mit dem einen oder anderen Behandlungsansatz gute Erfahrungen gemacht haben, aber ihn in ihrem Alltag nicht umsetzen können.
Welche Rolle spielen Medikamente bei Migräne-Kindern?
Es gibt Patienten, die bei allen geschilderten Ansätzen gut mitmachen, aber eine besonders aggressive Form der Migräne haben und daher trotzdem immer wieder starke Schmerzen bekommen. Wenn man diese Attacken nicht sofort mit Medikamenten angeht, besteht die Gefahr, dass der Schmerz chronisch wird. Doch auch bei den Medikamenten müssen wir individuell herausfinden, was passt. In der Regel nehmen die Betroffenen Ibuprofen oder Triptane ein. Sumatriptan ist für Kinder ab dem zwölfen Lebensjahr zugelassen. In seltenen Ausnahmefällen dürfen es auch jüngere Kinder einnehmen.
Eignen sich die modernen Antikörper-Therapien gegen Migräne auch für Kinder?
Monoklonale Antikörper sind zur Prophylaxe der episodischen und chronischen Migräne erst vom 18. Lebensjahr an zugelassen. Klinische Studien, die diese Medikamente auch bei Kindern und Jugendlichen testen, haben gerade erst begonnen. Bei Erwachsenen blockieren die Antikörper sehr effektiv einen Neurotransmitter, genauer: das Neuropeptid CGRP, das nicht nur im zentralen Nervensystem, sondern im ganzen Körper vorkommt. Wie es sich bei Jüngeren auswirkt, wissen wir noch nicht, weil, wie gesagt, noch keine Studiendaten vorliegen.
Welche Medikamente können Kinder und Jugendliche derzeit zur Prophylaxe der Migräne einnehmen?
Manche jungen Patienten nehmen ebenso wie Erwachsene Betablocker oder das Antiepileptikum Topiramat ein. Diese Substanzen haben in klinischen Studien mit Kindern und Jugendlichen aber oft einen ähnlichen Effekt wie ein Placebo. Kinder besitzen demnach eine sehr effektive körpereigene Schmerzabwehr, die es – möglichst ohne Medikamente – zu stärken gilt. Aber es gibt eben auch Fälle, in denen Medikamente sinnvoll sind.
Hält sich die Migräne ein Leben lang?
Von den Menschen, die als Jugendliche unter Migräne leiden, ist im Alter von 50 Jahren nur noch die Hälfte betroffen. Gerade bei Frauen spielen die Hormone eine wesentliche Rolle für den Rückgang. Viele schaffen es aber mit den Jahren auch, besser auf den eigenen Körper zu hören und ihre Lebensverhältnisse günstiger zu gestalten.