Parkinson: Nächtliche Vorboten
Je eher eine Parkinson-Erkrankung erkannt wird, desto größer sind die Chancen, sie rechtzeitig zu stoppen. Entscheidende Hinweise könnten
Veränderungen im Schlafverhalten liefern, wie neue Forschungsergebnisse zeigen.
Wenn Ärzte heute die Diagnose Parkinson stellen, ist die Krankheit meist nicht mehr im Anfangsstadium. In der Regel sind zum Zeitpunkt des ersten Befunds bereits die Hälfte der Nervenzellen, die den Neurotransmitter Dopamin freisetzen, zugrunde gegangen. Zwar lassen sich die typischen Symptome einer Parkinson-Erkrankung – verlangsamte Bewegungen, Zittern und ein Gefühl von Steifigkeit in den Armen und Beinen – mit den heute verfügbaren Arzneimitteln deutlich verbessern. Um die Erkrankung jedoch stoppen oder den Verlauf verzögern zu können, müsste sie früher erkannt und behandelt werden.
Das könnte schon bald möglich sein, zumindest bei einem Teil der Betroffenen. »Vier von fünf Menschen, die an einer REM-Schlafverhaltensstörung leiden, erkranken im Laufe der nächsten 15 Jahre an Parkinson«, sagt Professor Wolfgang Oertel. Der Neurologe von der Universität Marburg bezieht sich damit auf neuere Forschungsergebnisse, die Störungen der REM-Schlafphase mit der neurologischen Erkrankung in Verbindung bringen.
Bewegter Schlaf
Typisch für die traumreiche REM-Schlafphase sind rasche Augenbewegungen, ein schneller Herzschlag und eine beschleunigte Atmung. Ansonsten scheint der Körper wie gelähmt zu sein. Dafür sorgen Nervenzellen in einer Hirnregion namens »REM-ON«-Region im Hirnstamm. Bei Menschen, die an einer REM-Schlafverhaltensstörung leiden – das gilt für ungefähr ein Prozent der über 60-Jährigen – funktioniert die REM-ON-Region nicht richtig. Oft rufen, weinen oder lachen sie im Schlaf oder bewegen Arme und Beine so heftig, dass sie Gefahr laufen, aus dem Bett zu fallen. Nicht selten kommt es dabei sogar zu Verletzungen.
Viele Betroffene scheuen sich, mit anderen Menschen über die ungewöhnlichen nächtlichen Ereignisse zu sprechen. Dahinter stehe womöglich die Furcht, für besonders aggressiv gehalten zu werden, vermutet Oertel. »Dabei ist es wichtig, zumindest mit Ärzten über die Symptome zu reden und abklären zu lassen, ob eine REM-Schlafverhaltensstörung vorliegt«, sagt der Neurologe. Immerhin könne dies ein wichtiger Hinweis auf Parkinson im Frühstadium sein.
Schlafstörung als Vorbote
Die US-amerikanischen Mediziner Carlos Schenck und Mark Mahowald von der University of Minnesota beschrieben die Schlafstörung im Jahr 1986 als Erste. Auf die beiden Wissenschaftler geht der bis heute gültige Fachbegriff »REM sleep behaviour disorder«, kurz RBD, zurück. Zehn Jahre später stießen sie auf den Zusammenhang mit Parkinson. Sie hatten die RBD-Patienten weiter beobachtet und stellten nun Folgendes fest: Mehr als jeder Dritte von ihnen war an Parkinson oder einer besonderen Form von Demenz, der Lewy-Körper-Demenz, erkrankt. Sieben Jahre später, im Jahr 2003, war sogar weit mehr als die Hälfte der Patienten betroffen. Davon unabhängig zeigten die Erhebungen anderer Forscher, dass ein Viertel bis knapp die Hälfte der Menschen mit Parkinson vor der Diagnose ein REM-Schlafproblem gehabt hatte.
Bei Parkinson und der Lewy-Körper-Demenz lagern sich unlösliche Proteine in den Nervenzellen bestimmter Gehirnregionen an. Dadurch sterben die empfindlichen Nervenzellen ab. Die Proteinablagerungen bestehen aus alpha-Synuclein. Warum das Molekül seine Struktur verändert und unlöslich wird, weiß man noch nicht. Alpha-Synuclein erfüllt normalerweise wichtige Aufgaben; es ist zum Beispiel an der Ausschüttung von Botenstoffen im Gehirn beteiligt.
Aus dem Bauch in den Kopf
Vor gut 15 Jahren schlug der damals an der Universität Frankfurt tätige Neuroanatom Heiko Braak ein Modell zur Entstehung von Parkinson vor, das Aufsehen erregte. Seinen Forschungsergebnissen zufolge beginnt die Erkrankung im Magen-Darm-Trakt. Dort verwandelt sich »gesundes« alpha-Synuclein in die krankhaft veränderte Variante, und zwar aufgrund bisher unbekannter schädigender Einflüsse, die über die Schleimhäute einwirken. Anschließend breitet sich das unlösliche Protein über Nervenbahnen bis ins zentrale Nervensystem aus. Dass dieses Modell richtig sein könnte, legte jüngst wieder eine Studie nahe, die Wissenschaftler um Sangjune Kim von der Johns Hopkins University School of Medicine, Baltimore, in der Fachzeitschrift Neuron veröffentlichten.
»Das Stadien-Modell von Heiko Braak kann man sich wie ein mehrstöckiges Haus mit einer Rolltreppe vorstellen«, sagt Wolfgang Oertel. »Je mehr die Krankheit fortschreitet, desto weiter rollen die verklumpten Eiweiße nach oben.« Im Gehirn angekommen, schädigen die verklumpten Proteine zunächst den Bereich, der die vom Verdauungsapparat gemeldeten Nervenimpulse verarbeitet. Das könnte erklären, warum viele spätere Parkinson-Patienten im Vorfeld der Erkrankung unter Verstopfung leiden. In der nächsten Krankheitsphase häufen sich die Proteinablagerungen in den Hirnregionen, die den REM-Schlaf regulieren. »Menschen mit einer REM-Schlafverhaltensstörung befinden sich wahrscheinlich in diesem Stadium«, vermutet Wolfgang Oertel.
Neue Wirkstoffe im Test
In dieser Phase ist die Region im Mittelhirn, die die Bewegungsabläufe steuert, nur wenig oder gar nicht betroffen. Die klassischen Parkinson-Symptome treten also noch nicht auf. Arzneimittel, die den Abbau von Neuronen stoppen, hätten in diesem Stadium vermutlich die besten Erfolgschancen. »Diese Medikamente gibt es aber noch nicht«, sagt Professor Stefan Braune vom Neurozentrum in Prien. Der Neurologe befürchtet, dass man bei Patienten mit einer REM-Schlafverhaltensstörung lediglich Angst schüre, wenn man sie auf ihr erhöhtes Parkinson-Risiko anspräche.
Wolfgang Oertel sieht das anders. In der Pipeline forschender Pharmaunternehmen gibt es einige interessante Wirkstoffe, die sich gegen verklumptes alpha-Synuclein richten. Einige davon überwänden ohne Probleme die Blut-Hirn-Schranke, sagt der Marburger Neurologe. Andere, wie zum Beispiel therapeutische Antikörper gegen das abgelagerte Protein, gelangten zwar nur in geringem Umfang ins Gehirn. »Doch wenn die Krankheit tatsächlich im Darm beginnt, könnte man die verklumpten Eiweiße mithilfe von Medikamenten auch schon dort wegfangen«, sagt Oertel.
Bereits im nächsten Jahr werde wohl in Deutschland ein Testverfahren für Patienten mit REM-Schlafstörung verfügbar sein, sagt Wolfgang Oertel. Damit lasse sich relativ sicher vorhersagen, wer mit einer Parkinson-Erkrankung rechnen müsse. »Diese Patienten können wir in Zukunft vielleicht gezielt behandeln«, hofft der Neurologe. Einige vielversprechende Wirkstoffe würden bereits in klinischen Studien, etwa in Europa und den USA, an gesunden Testpersonen und Parkinson-Patienten getestet. Oertel: »Wir rechnen 2022 mit ersten Ergebnissen.«