E-Health: Vertragen Sie sich auch?
Ein neues Tool, das für Ärzte der NTC-Praxen entwickelt wurde, hilft, unerwünschte Wechselwirkungen zwischen Medikamenten aufzuspüren. Auch die genetische Ausstattung der Patienten kann von der Software berücksichtigt werden. Die Entwicklerin Herna Munoz-Galeano erklärt, wie ihr PGXperts® InteraktionsCheck funktioniert und welche Menschen in besonderem Maße von ihm profitieren.
Frau Munoz-Galeano, was genau ist der PGXperts® InteraktionsCheck?
Es handelt sich dabei um eine Software, die Ärzte unterstützt, in Sekundenschnelle mögliche Wechselwirkungen von Medikamenten zu erkennen, die sie ihren Patienten verschreiben wollen. Es werden sowohl Interaktionen zwischen den Medikamenten als auch zwischen Medikamenten und bestimmten Nahrungs- oder Genussmitteln identifiziert. Besonders innovativ ist die dritte Funktion der Software: Sie berücksichtigt nämlich auch individuelle genetische Merkmale der Patienten, die sowohl die Wirksamkeit als auch die Verträglichkeit von Arzneimitteln beeinflussen können.
Insgesamt sind in die Software Informationen von rund 48.000 in Deutschland zugelassenen Medikamenten und Wirkstoffen, 60 Nahrungs- und Genussmitteln sowie von 173 genetischen Varianten eingeflossen. Mithilfe der Software können Ärzte die Medikation ihrer Patienten optimal an deren persönliches Profil anpassen. Und zwar stets auf dem neuesten Stand der Wissenschaft: Unsere evidenzbasierte Datenbank, die Informationen sowohl von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA als auch von anderen internationalen Zulassungsbehörden und Institutionen berücksichtigt, wird laufend aktualisiert.
Was waren die wichtigsten Gründe, die zur Entwicklung der Software geführt haben?
Das Thema Arzneimittelsicherheit hat in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Wie der Arzneimittelreport, den die Barmer-Krankenkasse jedes Jahr veröffentlicht, ermittelt hat, nehmen rund 20 Prozent aller Deutschen und mehr als 40 Prozent der über 65-Jährigen dauerhaft fünf oder mehr Medikamente ein.
Wechselwirkungen zwischen den Arzneien sind daher relativ wahrscheinlich und nehmen mit steigender Anzahl exponentiell zu. Sie alle zu überschauen, wäre für einen Arzt ohne ein entsprechendes Hilfsmittel eine sehr komplexe und vielleicht sogar unmögliche Aufgabe. Unser InteraktionsCheck hilft ihm, den besten Medikamentencocktail zu finden, der dem Patienten ein möglichst gesundes Leben und zugleich eine hohe Lebensqualität ermöglicht.
Wie häufig sind unerwünschte Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln beziehungsweise zwischen Arznei- und Nahrungs- oder Genussmitteln?
Ganz exakt lässt sich das leider noch nicht ermitteln. Doch immerhin ließen sich im Jahr 2018 – auch das hat der Barmer-Arzneimittelreport ergeben – vier bis sieben Prozent aller Krankenhauseinweisungen und drei bis fünf Prozent der Todesfälle hierzulande auf unerwünschte Arzneimittelereignisse zurückführen. Weltweit ist falsche Medikation laut einer 2016 veröffentlichten Studie sogar die dritthäufigste Todesursache. Öfter sterben die Menschen demnach nur an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs.
Welche Rolle spielt die genetische Ausstattung des Patienten in diesem Zusammenhang?
Wir kennen inzwischen 173 genetische Varianten, die einen Einfluss darauf haben, wie ein bestimmtes Medikament im Körper verarbeitet wird. Zum Beispiel gibt es eine Genvariante, die bewirkt, dass der Stoffwechsel für das Schmerzmittel Tramadol stark vermindert ist. Weist ein Patient diese Genvariante auf, kann das Medikament bei ihm nicht gut wirken.
Wenn der Arzt von der Software auf solche Zusammenhänge hingewiesen wird, ist es für ihn ein Leichtes, seinem Patienten ein anderes Schmerzmittel, zum Beispiel den Wirkstoff Tilidin, zu verordnen, das zu keinen derartigen Interaktionen führt. Auch von dem Epilepsie-Medikament Carbamazepin oder dem Antidepressivum Moclobemid beispielsweise ist bekannt, dass die Art und Weise, wie diese Wirkstoffe vom Stoffwechsel verarbeitet werden, von der genetischen Ausstattung des Patienten abhängig ist.
Woher kennt die Software die genetische Ausstattung des Patienten?
Erst einmal natürlich gar nicht. Wenn der Arzt aber ein Medikament eingibt, das nachgewiesene Interaktionsrisiken mit bestimmten Genvarianten aufweist, macht die Software den Arzt auf diese Tatsache aufmerksam. Zudem zeigt sie an, wie gravierend die Interaktion sein könnte. Gemeinsam können der Arzt und sein Patient dann überlegen, ob eine pharmakogenetische Untersuchung des Patienten sinnvoll wäre, um mehr über dessen genetische Ausstattung herauszufinden.
Wie läuft die Untersuchung ab?
Wir kooperieren zu diesem Zweck mit dem Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn. Dem Patienten wird Blut abgenommen, das nach Bonn geschickt und dort molekulargenetisch untersucht wird. Maximal eine Woche später liegt das Ergebnis der Untersuchung vor, das der Arzt direkt zur Optimierung der Medikation berücksichtigen kann. Der Patient bekommt sein pharmakogenetisches Profil ebenfalls in schriftlicher Form ausgehändigt und kann es bei Bedarf zu anderen Ärzten mitnehmen.
Zahlen die Krankenkassen den Test?
Bislang nur in Einzelfällen. In der Regel müssen gesetzlich Versicherte die Kosten von derzeit 881 Euro selbst übernehmen. Private Kassen zahlen die Untersuchung dagegen relativ häufig. Wir hoffen allerdings, dass wir in zwei, drei Jahren, wenn sich das Verfahren etabliert hat, den Endpreis weiter senken können.
Bietet die Untersuchung dem Arzt und seinem Patienten, neben den genannten, noch weitere Vorteile?
Ja, mit ihrer Hilfe lässt sich nicht nur das für den jeweiligen Patienten am besten geeignete Medikament heraussuchen. Sie unterstützt auch beim Finden der optimalen Dosis. Wenn der Arzt weiß, wie ein bestimmter Wirkstoff vom Körper des Patienten aufgrund dessen genetischer Ausstattung verarbeitet wird, kann er die Dosis des Medikaments entsprechend anpassen.
Wann wurde der InteraktionsCheck erstmalig in einer NTC-Praxis eingesetzt?
Das war am 17. September des vergangenen Jahres, am internationalen Tag der Patientensicherheit.
Können inzwischen alle Patienten der NTC-Praxen von dem Check profitieren?
Meines Wissens wird der Check mittlerweile von gut zwei Dritteln der NTC-Ärzte angeboten. Ziel ist natürlich, dass schon bald alle Praxen ihn einsetzen.
Wird der Check dann bei sämtlichen Patienten routinemäßig vorgenommen?
Im Prinzip ja. Die Anwendung ist in das digitale Behandlungssystem DESTINY integriert, mit dem ja alle NTC-Praxen arbeiten. Gibt der Arzt die Medikation seines Patienten dort ein, wird er automatisch auf mögliche Interaktionsrisiken hingewiesen. Da die Software nicht nur als Webanwendung zur Verfügung steht, sondern auch als App auf mobilen Android- und iOS-Geräten läuft, kann sie zudem ganz leicht zu Hausbesuchen oder Notfalleinsätzen mitgenommen werden.