Migräne: Migräneschmerz – Wie Ausdauer und Fantasie helfen

In der Behandlung des Migränekopfschmerzes spielen Medikamente eine große Rolle. Zusätzlich lassen sich mit Entspannungstechniken und psychologischen Verfahren erstaunliche Erfolge erzielen.

Kann ein Wecker gegen Migräne helfen? Durchaus, sagt Dr. Heike Israel-Willner, und zwar dann, wenn er auch am Wochenende zur wochentags üblichen Stunde weckt. Bei Menschen mit Migräne reagiere das Nervensystem empfindlicher auf plötzliche Änderungen, fügt die Fachärztin für Neurologie am Neurologischen Facharztzentrum Berlin hinzu. Den üblichen Rhythmus zu durchbrechen – also unter der Woche um sieben Uhr morgens aufzustehen, am Wochenende aber erst um zehn Uhr – könne deshalb Migräneanfälle auslösen. Mit einem gleichmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus und mit regelmäßigen Mahlzeiten lässt sich oft schn einiges erreichen, sagt Israel-Willner. Denn nicht nur ungewohnt viel oder zu wenig Schlaf können einen Migräneanfall hervorrufen, sondern auch übersprungene Mahlzeiten. Vielen Betroffenen hilft es zudem, über den Tag verteilt mehrere Pausen zu machen. Fixe Aufsteh- und Essenszeiten sowie regelmäßige Pausen sind aber längst nicht die einzigen nicht medikamentösen Maßnahmen gegen Migräne. Auch durch bestimmte Verhaltensweisen lässt sich die Häufigkeit der Attacken reduzieren, nachweislich sogar um rund 40 Prozent, sagt Heike Israel-Willner. Entspannungsverfahren zum Beispiel seien sehr wirksam, um Migräneanfällen vorzubeugen.

Täglich eine Viertelstunde

Am einfachsten zu erlernen ist die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson (PMR). Studien zeigen, dass sich damit Migränesymptome um bis zu 70 Prozent reduzieren lassen. Sowohl die Häufigkeit als auch die Heftigkeit der Schmerzanfälle können nachlassen – vorausgesetzt, das Entspannungsverfahren wird regelmäßig praktiziert und nicht nur punktuell. Am besten sei es, jeden Tag mindestens 15 Minuten dafür zu reservieren, empfiehlt Heike Israel-Willner. Anleitungen fürs tägliche Üben finden sich zum Beispiel auf dem Videokanal YouTube oder in Apps wie der Migräne-App der Schmerzklinik Kiel. Umfassender noch als die Progressive Muskelentspannung ist das Achtsamkeitstraining. Es schärft das Bewusstsein für das eigene Befinden und hilft, Stress besser zu bewältigen. Biofeedback gilt als ähnlich wirksam wie Entspannungsverfahren, um Migräneanfällen vorzubeugen. Dabei üben Betroffene, normalerweise unbewusst ablaufende Vorgänge im Körper willentlich zu beeinflussen und so einer Attacke vorzubeugen. Biofeedback hilft auch, um innere Anspannung besser wahrzunehmen und rasch wieder in einen entspannten Zustand zu finden.

Wie Ausdauersport hilft

Ein weiteres probates Mittel zur Vorbeugung von Migräneanfällen ist Ausdauersport. Denn dabei baut der Körper Stresshormone ab und der Geist kommt zur Ruhe. Ideal sind pro Woche drei bis vier Trainingseinheiten von mindestens 30 Minuten Dauer in Sportarten wie Schwimmen, Laufen, Wandern oder Radfahren. Wichtig ist es, den Sport und andere verhaltenstherapeutische Maßnahmen in den Alltag zu integrieren, rät Heike Israel-Willner. Im Vordergrund sollte dabei die Entspannung stehen und nicht das Ringen um neue Rekorde. Viele Menschen mit Migräne besitzen ein hohes Maß an Verantwortungsgefühl und wollen immer funktionieren. Man muss sie eher bremsen, hat die Berliner Neurologin beobachtet. Manche Patienten würden sich sogar Vorwürfe machen wegen ihrer Erkrankung. Entlastend sei in dieser Situation oft ein Blick auf die Fakten, sagt Israel-Willner: Die Migräne ist genetisch bedingt. In bestimmten Situationen wird quasi automatisch das Programm für den Migräneanfall abgespult. Dafür können Betroffene nichts. In die Irre führe nicht selten auch die unablässige Fahndung nach auslösenden Faktoren. Dabei würden oft Vorboten der Migräne – etwa das Verlangen nach Schokolade – als Krankheitsursache gedeutet, berichtet Israel-Willner. Schuld sei jedoch nicht die Schokolade; das Verlangen danach sei bloß das erste Symptom der sich anbahnenden Migräneattacke.

Mit Fantasie gegen den Schmerz

Kommt es zum Anfall, ist es am besten, sich zunächst an einen ruhigen, angenehmen Ort zurückzuziehen. Um bei einer Attacke die Schmerzwahrnehmung zu reduzieren, hätten sich – ergänzend zur medikamentösen Therapie – vor allem Visualisierungsübungen bewährt, sagt Heike Israel-Willner. Sie rät ihren Patienten dann zum Beispiel: Stellen Sie sich vor, wie Sie den Schmerz eingrenzen und ihn immer kleiner machen, etwa mit einer Mauer oder einem elastischen Band, das den Schmerz zusammenzieht. Solche verhaltenstherapeutischen Ansätze seien ein ganz wichtiger Teil der Therapie, betont die Fachärztin. Dazu gehört auch, für sich selbst jene Stressoren und Situationen zu erkennen, die immer wieder zur Migräne führen, und Strategien zu entwickeln, ihnen anders als bisher zu begegnen. Nein sagen zu können, wenn andere zu viel verlangten, sei dabei von großer Bedeutung. Erlernen lasse sich das etwa im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie, wie sie von ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten angeboten werde. Heike Israel-Willner: Eine solche Therapie stärkt das Gefühl, selbst etwas bewirken zu können gegen die Migräne.