Multiple Sklerose: Gemeinsam stark im Alltag

Die meisten MS-Patienten möchten, selbst wenn ihre Erkrankung schon weit vorangeschritten ist, ein möglichst selbstständiges Leben zu Hause
führen. Damit das gut gelingt, sind ein paar Dinge zu beachten – sowohl für die gepflegte als auch für die pflegende Person. Die MS-Expertin
Mechthild Zeh erklärt, worauf es ankommt, damit aus beiden Partnern ein richtig gutes Team wird.

Spastiken, Lähmungen, Koordinationsprobleme, Blasen- und Darmstörungen – die Multiple Sklerose kann eine Vielzahl körperlicher Einschränkungen hervorrufen. Ist die Krankheit bereits weit vorangeschritten, werden die Patienten zunehmend abhängig von Hilfsmitteln und von Menschen, die sich um sie kümmern.

Geistig sind und bleiben die allermeisten MS-Patienten allerdings sehr lange fit, weshalb sie fast immer ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen haben und somit aktiv in die Pflege eingebunden werden sollten, sagt die ausgebildete Krankenschwester und Pflegedienstleiterin Mechthild Zeh, die in Baden-Württemberg auch Seminare zur häuslichen Pflege von MS-Patienten anbietet. Einen MS-Erkrankten zu pflegen, heißt in erster Linie, ihn bei den Aktivitäten seines eigenen Lebens so gut es geht zu unterstützen, damit er lange so selbstständig wie möglich bleiben kann, betont Zeh.

Klare Absprachen

Der wichtigste Punkt einer guten Pflege besteht für die Expertin darin, dass beide Partner klare Absprachen miteinander treffen. Das gehe schon bei der Frage los, wann und wie der gemeinsame Tag begonnen werde. Einige Erkrankte leiden beispielsweise gerade in den Morgenstunden unter starken Spastiken oder Koordinationsstörungen, sagt sie. Das müsse bei der Tagesplanung beachtet werden – insbesondere dann, wenn bereits am Vormittag ein Termin anstehe, etwa für die Physiotherapie.

Zeitdruck oder anderweitiger Stress verstärken viele der körperlichen MS-Symptome, berichtet Zeh. Daher seien ausreichend Zeit und eindeutige Absprachen wichtig. Schnell geht es nur, wenn man langsam macht, sagt die Pflegedienstleiterin. Sinnvoll sei es zudem, sich stets auf eine Sache zu konzentrieren: Wenn die morgendliche Körperpflege ansteht, sollte nicht gleichzeitig schon der Tagesplan besprochen werden.

Regelmäßige Gespräche

Gerade weil die MS eine fortschreitende Erkrankung ist, müssen die gemeinsam erarbeiteten Konzepte immer wieder überdacht werden. Was vor einem Jahr noch gut funktioniert hat, klappt heute vielleicht schon nicht mehr in der gewohnten Art und Weise, sagt Zeh. Dann bedarf es neuer Ideen und Pläne – und deshalb ist es so wichtig, dass beide Partner stets im Gespräch bleiben.

Angesprochen werden sollten dabei auch die Vorstellungen der pflegenden und der gepflegten Person an den jeweils anderen und an die Partnerschaft insgesamt. Oft ist es gar nicht so einfach, die unterschiedlichen Rollen als Partner und pflegende beziehungsweise gepflegte Person miteinander zu vereinbaren, insbesondere wenn es um so intime Dinge wie die Körperhygiene geht, sagt Zeh. Auch diesbezüglich seien kreative und individuelle Lösungen gefragt. Beide Partner müssen sehr genau schauen, welchen Umgang sie miteinander haben möchten und wie sie sich gegenseitig bei der Bewältigung ihres oft nicht leichten Alltags unterstützen können.

Hilfsmittel nutzen

Sinn der häuslichen Pflege ist es Zeh zufolge nämlich nicht, dass der gesunde Partner den anderen rund um die Uhr versorgt. Es geht darum, ihn zu begleiten und dabei so viel Eigenaktivität wie möglich zuzulassen, auch damit die Abhängigkeit innerhalb der Partnerschaft nicht überhandnimmt. Deswegen sei es auch sinnvoll, möglichst viele Hilfsmittel – zum Beispiel Essbesteck mit dicken Griffen, Teller mit hohem Rand sowie An- und Ausziehhilfen für Socken und Schuhe – im Haus zu haben.

Auch Sportgeräte wie Steh- und Bewegungstrainer sollten in den eigenen vier Wänden nach Möglichkeit nicht fehlen. Das häusliche Training ist meist relativ leicht durchzuführen und wichtig, um die Beweglichkeit des MS-Erkrankten so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, sagt Zeh. In der Regel kommen die gesetzlichen Krankenkassen für die Kosten dieser Geräte auf.

Eigene Grenzen erkennen

Viele pflegende Angehörige sind nicht nur Tag für Tag zu Hause gefragt, sondern gehen darüber hinaus noch einem Beruf nach, der sie fordert. Das kann schnell zu einer harten Belastungsprobe werden, sowohl für den Körper als auch für die Psyche. Eigene Erschöpfungsanzeichen wie ständige Müdigkeit, Gereiztheit, Schlafprobleme,
Antriebslosigkeit oder psychosomatische Beschwerden sollten daher ernst genommen und vor allem nicht als persönliches Versagen erlebt werden
, sagt Zeh.

Der Anspruch, alles allein zu schaffen, erweise sich langfristig für die meisten Menschen als überfordernd und gefährde – falls daran festgehalten werde – die eigene Gesundheit. Jeder Mensch, der einen erkrankten Partner pflegt, muss lernen, seine persönlichen Grenzen zu erkennen, sie zu respektieren und sich zumindest zeitweise Hilfe und Unterstützung zu holen, betont Zeh. Beides könnten beispielsweise ein ambulanter Pflegedienst oder auch die Nachbarschaftshilfe für ein paar Stunden am Tag leisten. Auch eine längere Auszeit – sei es allein oder mit Freunden im Urlaub oder in Form eines Reha-Aufenthalts – ist für jeden Menschen, der einen anderen pflegt, ab und zu notwendig, um selbst bei Kräften zu bleiben, weiß Zeh aus Erfahrung.

Auszeiten respektieren

Selbst wenn solche Auszeiten für den erkrankten Partner nicht immer leicht zu akzeptieren sind und dadurch mitunter sogar Konflikte in der Partnerschaft entstehen, sollte sich die gepflegte Person bewusst machen, dass letztendlich auch sie davon profitiert. Wenn beide Partner nicht mehr können, ist niemandem geholfen, sagt Zeh. Und nur die allerwenigsten Paare kommen in solch einer Situation ganz ohne Unterstützung aus.

Um Hilfe bei der Pflege zu bekommen, sei es ratsam, selbst aktiv zu werden und sich auf die Suche nach geeigneten Angeboten zu machen, sagt Zeh. Eine erste Anlaufstelle könnten die Pflegestützpunkte der Krankenkassen sein. Auch die Broschüre Ratgeber Pflege des Bundesgesundheitsministeriums, die sich im Internet kostenlos herunterladen lässt, biete einen guten Überblick darüber, welche Unterstützung möglich sei.