Parkinson: Partnerschaft mit Parkinson

Als die Diagnose Parkinson kam, standen Birgit Borchardt und ihr Mann Dirk zunächst unter Schock. Sie mussten sich nicht nur mit einer lebensverändernden Krankheit auseinandersetzen, sondern auch ihre Partnerschaft umgestalten. Leicht war es nicht, aber die beiden haben es geschafft.

Motorradtouren quer durch die Welt waren immer ein wichtiger Bestandteil ihres gemeinsamen Lebens: Für Birgit und Dirk Borchardt bedeutete es Freiheit und Entspannung, sich auf die Motorräder zu schwingen und zusammen die Gegend zu erkunden. Von Island bis Neuseeland bereisten sie auf diese Weise unzählige Orte. Das ist in dieser Form jetzt leider vorbei, sagt Birgit Borchardt wehmütig. Ich fühle mich auf dem Motorrad nicht mehr sicher. Es ist eher so, dass die Maschine mich beherrscht als umgekehrt. Im vergangenen Mai erhielt sie mit Ende 50 die Diagnose Parkinson. Das war ein großer Schock, berichtet Birgit Borchardt rückblickend.

Wegen langanhaltender Schmerzen im rechten Arm hatte sie mit dem harmloseren Befund Maus-Arm gerechnet – infolge der vielen Stunden vorm Computer. Als die Neurologin dann das Wort Parkinson aussprach, wusste ich nicht mehr, was ich denken sollte, sagt Birgit Borchardt. Ich hatte bis dahin geglaubt, diese Krankheit bekommt nur, wer mindestens 70 ist und stark zittert. Sobald sie die Praxis verlassen hatte, versuchte sie zunächst vergeblich, ihren Mann Dirk zu erreichen. Gottseidank hat er schnell zurückgerufen. Als ich ihm sagte, dass ich Parkinson habe, war es am anderen Ende der Leitung erst mal still.

Plötzlich ist alles anders

Für die Lebensgefährten ist es meist eine ebenso große Herausforderung, mit der Krankheit zurechtzukommen, wie für die Betroffenen selbst. Das ist die Erfahrung von Dr. Robert Pfister, Facharzt für Neurologie in Neusäß. Oft sind die Partner zunächst einmal überfordert, sagt er. Sie machen sich Sorgen, müssen gleichzeitig aber trösten und unterstützen – und langfristig eine ganz neue Rolle einnehmen.

So ging es auch Dirk Borchardt. Für ihn begann eine Achterbahn der Gefühle und Gedanken. Seit ihrem Abitur ist er mit Birgit zusammen und in den 40 Jahren ihrer Beziehung war Unabhängigkeit immer ein wichtiger Wert. So hat der Ingenieur trotz eines gemeinsamen Hauses in der Nähe von Frankfurt / Main und zwei inzwischen erwachsenen Kindern meist andernorts gearbeitet und Karriere gemacht, während Birgit Borchardt zu Hause die Stellung hielt. Sie führten eine Wochenend-Ehe. So war es bis zum letzten Jahr.

Als der Anruf seiner Frau kam, herrschte bei Dirk Borchardt gerade Hochbetrieb. Er leitete damals eine Abteilung in einem großen Unternehmen in Berlin und sollte am Folgetag eigentlich beruflich nach Spanien fliegen. Doch nach dem Gespräch fuhr er gleich zu seiner Frau, sagte seine Reise ab und begleitete sie zu weiteren Arztbesuchen. Nach vielen Überlegungen und Gesprächen stand sein Entschluss fest: Er würde seine derzeitige Stellung aufgeben und sich als Projektleiter an den Standort Frankfurt versetzen lassen, um für Birgit da zu sein. Ich habe beruflich alles erreicht, was ich mir gewünscht habe. Jetzt möchte ich die Karriere zurückstellen und die Zeit mit meiner Frau genießen, so aktiv und so lange, wie es möglich ist, sagt er.

Neue Rollen, neue Probleme

Tatsächlich nähmen Partner in den meisten Fällen ihre neue Rolle als Unterstützer und Hilfsperson gut an, auch wenn die Rollen vorher eher umgekehrt gewesen seien, sagt Robert Pfister: Manchmal geht die Bemutterung sogar zu weit. Bei ungefähr einem Viertel der Paare beobachtet der Neurologe allerdings mehr oder weniger große Schwierigkeiten, die in einigen Fällen sogar zur Trennung führen können. Die größten Probleme bereitet seiner Erfahrung nach der Rollenwechsel, der insbesondere früher dominanten und nun hilfsbedürftigen Menschen schwerfällt.

Zu schaffen machen vielen Paaren auch Depressionen – darunter leidet etwa die Hälfte der Parkinson-Patienten –, ihr zuweilen gesteigertes Sexualbedürfnis, ihr veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus, eine Parkinson-Demenz im späteren Verlauf der Krankheit oder auch Persönlichkeitsveränderungen, die zu extremen Eifersuchtsanfällen führen können. Für jeden dieser Fälle gebe es Therapien und Medikamente, die die Symptome zumindest abschwächen können. Am wichtigsten sei es, die Probleme offen beim Arzt anzusprechen und sich von ihm aufklären und helfen zu lassen.

Eine für Parkinson typische Partnerschaftsproblematik gebe es aber nicht, sagt Pfister: Es kommt neben dem Krankheitsverlauf sehr auf die beiden Individuen an und darauf, wie die Beziehung vorher war. So erleben es auch die Borchardts. Nachdem Birgit Borchardt zunächst Angst hatte, ihr Mann könne mit ihrer Krankheit vielleicht nicht zurechtkommen und sie im schlimmsten Fall sogar verlassen, fühlten sich beide bald noch enger miteinander verbunden: Der eine war für den anderen da, wenn Ängste und Sorgen überhandnahmen. Die Diagnose Parkinson ist anstrengend für ein Paar, aber ich bin inzwischen sehr zuversichtlich und weiß: Was vorher gut funktioniert hat, wird auch weiterhin gut funktionieren, sagt Dirk Borchardt.

Er und seine Frau geben sich gegenseitig viel Raum, hören dem anderen zu und reden offen über Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse. Dabei respektieren sie ihre jeweilige Andersartigkeit: Ich bin eher der Typ, der viel mit sich selbst ausmacht, sagt der 57-Jährige. Dann ziehe ich mich zurück, grübele und meine Frau lässt mich in Ruhe. Irgendwann komme ich aus meinem Zimmer und bin wieder bereit für Gespräche. Wenn man selbst mit sich im Reinen ist, kann man auch Fels in der Brandung sein.

Eigene Interessen pflegen

Das weiß Birgit Borchardt zu schätzen, die selbst viel kommunikativer als ihr Mann ist und ihren Gesprächsbedarf auch mit engen Freundinnen, in einer Therapie und in der Selbsthilfegruppe Jung und Parkinson (https://jung-und-parkinson.de) stillt. Ich weiß ja, wie er tickt und dass zum Beispiel eine gemeinsame Selbsthilfegruppe gar nichts für ihn wäre. Sie selbst hat seit der Diagnose depressive Phasen erlebt, ihre Schmerzen machen ihr zu schaffen, manchmal wird ihr alles zu viel. Dann spricht sie offen darüber, erwartet aber nicht, dass ihr Mann sofort zur Stelle ist.

Auch Robert Pfister rät dazu, sich nicht nur auf den Partner zu konzentrieren, sondern eigenen Interessen nachzugehen und sich Ziele zu stecken – eigene und gemeinsame. Birgit Borchardt hat jetzt das Tischtennisspielen für sich entdeckt und läuft gern durch die Natur, ihr Mann fährt weiterhin mit dem Motorrad, joggt oder beschäftigt sich mit IT und SmartHome-Lösungen. Wichtig sind ihnen die gemeinsamen Pläne: Nächstes Jahr wollen sie Parkinson zum Trotz gemeinsam mit dem Motorrad durch Südafrika touren. Nun zwar nicht jeder auf der eigenen Maschine, aber mit Birgit Borchardt als Mitfahrerin bei ihrem Mann, so lange wie es ihr ohne Schmerzen möglich ist.

Im Alltag gehen die Borchardts oft zusammen spazieren, unternehmen ausgedehnte Radtouren und lachen viel. Ich habe mit der Diagnose einen Bruch erlebt, dem ich etwas entgegensetzen musste. Jetzt möchte ich jeden Moment genießen, sagt sie, lächelt ihren Mann an und er fügt hinzu: Wir haben das große Glück, dass wir jetzt noch enger zusammenstehen als vorher.